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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lane
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stehen. Angesichts des überwältigenden Panoramas aus Meer und Himmel setzte fast sein Herzschlag aus. Bis vor drei Monden hatte er an einem Fluss gelebt, der in einen langen Meeresarm mündete. Das große Kanu war den Meeresarm heraufgesegelt, um ihn zu fangen, und die ganze Reise über hatte er unter Deck in Ketten gelegen. Erst jetzt, da er mit Rowena hier stand, wo die Erde zu Ende zu sein schien, fing er an zu verstehen, wie riesig der Ozean zwischen ihm und seiner Heimat sein musste.
    Die Klippe, auf der sie standen, ragte hoch über der Brandung auf und hatte bestimmt die Höhe von zwanzig Männern. Zu ihren Füßen tosten die riesigen Wellen mit aller Gewalt gegen den Fels. Strudel zischten und schäumten und wirbelten unter dem Schwall der nächsten Brecher auseinander.
    Jenseits des Strandes erstreckte sich die glitzernde Wasserfläche entlang des Horizontes, so weit Black Otter sehen konnte. Die glitzernden Wellen verschwammen vor seinen Augen und blendeten ihn. Seevögel kreisten, tauchten und zankten sich über der Gischt. In seinen Ohren klangen ihre Schreie wie höhnisches Gelächter.
    Black Otter spürte, wie seine Beine nachgaben, als sein geschwächter Körper angesichts der Hoffnungslosigkeit in sich zusammensank. Todunglücklich fiel er auf die Knie. Wie hatte er nur so töricht sein können, zu glauben, dass er für seine Heimkehr nur ans Meer zurückzugehen und ein Boot zu besteigen brauchte, das ihn dann an die Mündung seines geliebten Flusses tragen würde? Die Erde war viel riesiger und schrecklicher, als er es sich jemals hatte vorstellen können. Hier, abgeschnitten von allem, was er kannte, war er so unbedarft wie ein Kind.
    Mit dem spärlichen Wissen, das er besaß, würde er niemals den Weg nach Hause finden. Er würde sich verirren oder bei dem Versuch umkommen, und nie würde er seine Heimat wiedersehen – nie wieder als freier Mann durch die Wälder streifen, niemals mehr am Ratsfeuer sitzen oder seine geliebten Kinder in die Arme schließen …
    Er drängte die Tränen zurück, die ihm in den Augen brannten, als er sich die bittere Wahrheit eingestand. Seine einzige Hoffnung auf Rückkehr lag darin, die Lebensweise der Weißen anzunehmen – ihre Sprache, ihre Werkzeuge, ihr Wissen über die Erde und das Meer.
    Er hatte die Wahl. Er könnte sein Leben elend und allein an diesem fremden Ort beenden … oder er könnte wie ein Weißer werden.
    Als der Wilde sich umwandte und Rowena ansah, traf der gequälte Ausdruck in seinen Augen sie wie ein Schlag. Es gehörte nicht viel dazu, sich vorzustellen, wie er sich nach seiner Heimat und seinen Kindern sehnte. Aber sie hatte nicht mit dem gerechnet, was sie jetzt in seinem Gesicht erkannte – den vernichteten Stolz, die gezügelte Wut eines gefangenen Tieres.
    Sie hob die Hand, ließ sie aber wieder sinken, als sie spürte, dass es besser wäre, Black Otter jetzt nicht zu berühren. Lange sah er mit unergründlichem Blick aufs Meer hinaus. Dann zuckte er die Schultern, drehte sich um und ging über das Moor zurück Richtung Haus.
    Beide schwiegen, während sie die weite Ebene durchquerten. Aber Rowena fühlte, wie schwer es ihm gefallen war, sich in sein Schicksal zu fügen. Was sie nicht konnte, das Meer hatte es geschafft. Vielleicht würde er ihr jetzt erlauben, ihm zu helfen.
    Als sie sich dem Haus näherten, sah sie zu ihrer Überraschung einen Wagen mit einem Gespann müder Pferde – genau dieselben, die sie beim Überqueren der Brücke gesehen hatten – am Pfosten vor der Eingangstreppe festgemacht. Eigenartig, sie erwartete außer dem Doktor keine Besucher, und der konnte noch nichts von Sir Christophers Krankheit erfahren haben. Außerdem ritt der Doktor immer auf einem Maultier. Dieser Wagen war beladen mit Schrankkoffern und Kisten. Das mussten Reisende sein, die vielleicht unterwegs einen Unfall gehabt hatten und nun beim Gutshaus anhielten, um Hilfe zu erbitten.
    Neben ihr erstarrte der Wilde vor Angst. Dann jedoch, als sein Blick auf die Pferde fiel, betrachtete er sie wie gebannt und wollte auf sie zugehen.
    “Nein!” Rowena fasste ihn am Arm und zog ihn zurück.
    “Es ist jemand hier – es könnte gefährlich für dich sein. Komm!
Wendaxa!”
    Ihre Aussprache des Wortes war miserabel, aber dennoch erkannte sie am Aufblitzen seiner Augen, dass er sie verstand. Sie schlugen einen Weg schräg vom Haus ein, um die Fassade hinter sich zu lassen und sich vorsichtig der Rückseite zu nähern.
    “Dort.” Sie deutete auf

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