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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lane
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den Stall und flehte im Stillen, dass kein Fremder sie vom Haus aus beobachtete. Selbst in der Kleidung eines schlichten Arbeiters sah der Wilde nicht wie ein gewöhnlicher Mann aus. Sein raubvogelartig geschnittenes Gesicht, das wehende Haar und seine stolze Haltung würden ihn für jeden unvergesslich machen. Und wenn seine Anwesenheit erst einmal bekannt war, würde er niemals wieder in seine Heimat zurückkehren können. Er würde in einen Käfig gesperrt, herumgeschubst, untersucht und zur Schau gestellt werden wie ein Monstrum. Und schließlich, wie bei Sir Christophers anderen fremdländischen Exemplaren, würde das raue englische Klima seinen Tribut fordern, und er würde sterben.
    Die Stalltür war angelehnt. Sie schlüpften hinein in den Schutz der warmen Dunkelheit, die nach süßem Heu und den Körpern der Pferde roch. Das wenige Licht, das durch das Reetdach hereinfiel, ließ in einer Ecke einen staubigen Karren erkennen, bepackt mit Harken, Sensen, Schaufeln und Eimern. Eine Menge Sättel und Zaumzeug, geputzt und oft benutzt, hingen seitlich auf einem Ständer. Frisches Stroh war mitten auf dem Erdboden aufgehäuft, und an der entgegengesetzten Wand befanden sich sechs Nischen für die Pferde.
    Rowena hörte, wie der Wilde den Atem anhielt, als er erkannte, was darin war. Zwei der Ställe beherbergten die großen Zugpferde, die zum Pflügen und Lastentransport auf dem Gut und den umliegenden Höfen der Pächter gebraucht wurden. Im dritten stand Mayfair, Rowenas Zelter, ein Rassepferd, und im vierten Stall schnaubte Blackamoor, Sir Christophers feuriger Wallach, und schüttelte seine schwarze Mähne.
    Die restlichen Ställe waren leer, aber die beachtete der Wilde ohnehin nicht. Er hatte nur Augen für Blackamoor. Black Otter zögerte zunächst, näherte sich dann langsam, als ob er fürchtete, das Pferd zu beunruhigen, sodass es fliehen oder angreifen könnte.
    “Du brauchst keine Angst zu haben”, flüsterte Rowena ihm zu und schob ihn näher an das Pferd heran. “Blackamoor ist wie ein verwöhntes Kind – er liebt Streicheln und Aufmerksamkeit. Nur zu, fass ihn ruhig an.”
    Wenn nicht die Worte, so verstand der Wilde doch den Tonfall. Sanft in seiner Sprache vor sich hin murmelnd, streckte er vorsichtig die Hand aus. Blackamoor, der einen Leckerbissen erwartete, berührte mit seiner Schnauze behutsam die offene Hand, zwickte vorsichtig mit den Zähnen daran und stieß mit seinen samtigen Nüstern dagegen. Der Wilde stand in wortlosem Erstaunen vor ihm.
    “Hier.” Rowena griff sich ein Büschel Heu und drückte es ihm in die Hand. Das Heu verschwand in dem großen seidigen Maul und wurde genüsslich in der warmen Dunkelheit zerkaut. Rowena sah, wie sich die Kehle des Wilden bewegte, als ob er zu sprechen versuchte, ihm aber die Worte fehlten. Für ihn war dieser stille Augenblick der Beginn einer Freundschaft. Zum ersten Mal hatte der Wilde in diesem fremden Land etwas entdeckt, das er lieben konnte.
    “Mistress?”
    Die piepsige Stimme, die plötzlich hinter ihrem Rücken zu hören war, ließ Rowena den Schreck in die Glieder fahren. Sie fuhr herum und sah das ernste Gesicht des jungen Will, Dickons neunjährigem Neffen, vor sich.
    “Ist alles in Ordnung, Mistress? Möchtet Ihr ausreiten?” Will war ebenso gescheit und altklug, wie sein Onkel beschränkt und kindisch war. Rowenas Knie fingen an zu zittern, als der Junge seinen hellwachen Blick kurz auf den Wilden richtete, um dann wieder sie anzusehen. “Mistress?”
    Es hatte ihr beinahe die Sprache verschlagen. “Nein Will, reiten möchte ich nicht”, brachte sie schließlich heraus, “aber – aber vielleicht könntest du diesen Gentleman im Auge behalten, während ich mich um meinen Vater kümmere und um die Gäste, die gerade angekommen sind.”
    “Gentleman?” Will beäugte das verhedderte Haar und die schäbige Kleidung des Wilden.
    “Er ist … ein Ausländer, gerade erst angekommen. Er spricht kaum ein Wort Englisch und …” Sie warf dem Wilden schnell einen Blick zu, denn er hatte sich von Blackamoor abgewandt und betrachtete mit milder Verwunderung den flachshaarigen Jungen. Rowena dachte daran, dass der Wilde selbst einen Sohn hatte. Bestimmt wäre Will bei ihm in guten Händen.
    “Er bleibt hier im Stall”, sagte sie und überlegte sich, noch während sie sprach, mit verzweifelter Hast, wie es weitergehen sollte. “Hol ihm aus der Küche etwas zu essen, und dann zeig ihm, wo er sich auf dem Dachboden eine

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