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Wild wie das Meer (German Edition)

Wild wie das Meer (German Edition)

Titel: Wild wie das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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Sie hatte bisher noch nie daran gedacht, irgendjemanden zu küssen – bis vor wenigen Augenblicken. Das musste allein seine Schuld sein – sie war zweifellos überreizt von der Entführung, dem Sturm, von seiner Gegenwart! Offenbar nutzte er ihre Verwirrung und ihren labilen Gemütszustand aus. Wie dem auch sei, der ganze Vorfall war inakzeptabel. Er war der Feind und würde es auch bleiben, bis sie befreit wäre. Seinen Widersacher küsste man nicht.
    Zudem würden solche Zärtlichkeiten gewiss zu einem unausweichlichen Schicksal führen – sie würde seine Dirne werden!
    „Benötigen Sie sonst noch etwas, Miss Hughes?“, fragte Gus und drängte sich in ihre aufgewühlten Gedanken.
    „Nein, danke“, gab sie kurz angebunden zurück. Ihre Wangen brannten. Sie selbst stand in Flammen. Und sie hatte Angst.
    Gus wandte sich zum Gehen, und auch die anderen beiden Matrosen verließen die Kajüte.
    Virginia kämpfte gegen die Angst und die Verzweiflung an. Sie rief sich in Erinnerung, dass sie einen Fluchtweg finden musste. Galt es doch, ihren Onkel zu überzeugen, Sweet Briar zu retten. Schon bald würde dieser Albtraum in Gestalt O’Neills von ihr ablassen und nur noch eine dunkle Erinnerung sein. „Gus! Wo sind wir? Sind wir schon in Küstennähe?“
    Der Seemann zögerte, drehte sich aber nicht zu ihr um. „Sind vom Kurs abgekommen, Miss. Sind nördlich von England.“
    Mit offenem Mund starrte sie dem Matrosen nach und sah sich nicht in der Lage, nachzufragen, wie weit der Sturm sie abgetrieben hatte. Ihre geografischen Kenntnisse waren dürftig, aber sie wusste, dass Irland sich nordwestlich von England befand. Portsmouth wäre ein weitaus besseres Ziel als Irland gewesen, aber nun schien die Südküste Englands in weite Ferne gerückt zu sein.
    Sie eilte zu seinem Pult und warf einen Blick auf die Seekarte. Sie brauchte einen Moment, um ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu sehen. Irland lag nordwestlich von England, aber konnte ein einziger Sturm ein Schiff so weit vom Kurs abbringen?
    Sie schaute auf die Karte von England. Portsmouth lag nicht allzu weit von London entfernt. Sie versuchte, die Entfernung abzuschätzen, und kam zu dem Schluss, dass die Fahrt in einer Kutsche einen Tag dauern mochte. Zumindest dies kommt mir entgegen, dachte sie grimmig.
    Doch was jetzt? Virginias Blick fiel auf das dampfende Bad, und sie beschloss, das heiße Wasser nicht zu verschwenden. Rasch nahm sie ein Bad, voller Angst, dabei gestört zu werden. Unaufhörlich schrubbte sie über ihre Taille, wo dieser Mann sie berührt hatte. Als sie aus der Wanne stieg, trocknete sie sich nur dürftig ab, weil sie immerzu befürchtete, er könne jeden Augenblick hereinplatzen und sie unbekleidet erblicken. Sie flocht das noch nasse Haar zu einem Zopf und schlüpfte hastig in die alten Kleider. Ein Blick in seinen Handspiegel verriet ihr, dass sie schrecklich blass war, wodurch ihre Augen noch größer wirkten. Zudem sah sie furchtbar zerzaust und geradezu ernachlässigt aus – ihr Kleid war knittrig, am Saum eingerissen und hatte einen Blutfleck im Schulterbereich. Schlimmer war jedoch die Prellung an ihrer Schläfe. Als sie die Stelle berührte, tat sie noch weh.
    Sie sah wie eine Waschfrau in den Kleidern einer feinen Dame aus, die sich auf einen handfesten Streit eingelassen hatte.
    Doch immerhin hatte sie sich in einem Gefecht befunden, genau genommen hatte sie sich von dem Augenblick an in einem Kampf befunden, als O’Neill die „Americana“ überfallen hatte.
    Virginia trat an das Bullauge, das offen stand. Es war ein herrlicher Frühlingstag, der Himmel war blau und wolkenlos, die See glatt wie ein Spiegel. Sie war erstaunt, wie ruhig die See nach einem solchen Sturm sein konnte. Angestrengt suchte sie den Horizont nach Land oder einer Möwe ab, sah aber nichts als das weite Meer. Schließlich ließ sie das Bullauge offen und betrat das Deck.
    Sie hatte ihn sogleich erblickt, neben einem Offizier, der das Steuer hielt. O’Neill stand mit dem Rücken zu ihr, die Beine leicht gespreizt, und hatte offenbar die Arme vor der Brust verschränkt. Während sie ihn ansah, verspürte sie ein sonderbares Gefühl, das ihr keinesfalls willkommen war. Er drehte sich ein wenig zu ihr um – der Mann hatte das Gespür einer Raubkatze –, und ihre Blicke trafen sich.
    Er nickte.
    Sie achtete nicht auf diese Geste, sondern trat an die Reling. Zu spät merkte sie, dass sie in der Sturmnacht genau an dieser Stelle über Bord

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