Wild wie das Meer (German Edition)
Haus. Virginia musste lächeln. Eigenartig, sie hatte das Gefühl, dass das Blatt sich zu ihren Gunsten wendete – irgendwie kam es ihr so vor, als habe sie die letzte Begegnung für sich entschieden. Und dann schaute sie in Fionas feindselig verengte schwarze Augen.
Das Gelbe Gemach war gewiss seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Als Virginia an der Schwelle des großen Zimmers stand, dessen Wände in einem zarten Goldton gehalten waren, sah sie, wie Fiona wütend die Kissen aufschüttelte. Staub wirbelte durch die Luft.
Virginia schaute sich um. Dieser Raum war weitaus luxuriöser ausgestattet als ihr Zimmer auf Sweet Briar. Das Himmelbett in der Mitte des Gemachs hatte golden schimmernde Seidendecken und im gleichen Farbton gehaltene Bettvorhänge. Aufwendige Verzierungen hoben den aus Ebenholz gefertigten Sims über dem Kamin hervor. Vor dem Kamin standen ein gepolsterter Lehnstuhl und eine Ottomane. Mehrere alte Porträts und Landschaftsmalereien zierten die Wände. Virginia trat an eines der Fenster und hätte beinahe ihre Begeisterung laut kundgetan. Der Ausblick war fantastisch. Sie ließ den Blick über die sich sanft im Winde wiegenden Weizenfelder und die saftigen grünen Weiden und Anhöhen schweifen und sah das Flussufer. Zu ihrer Linken ragten die Ruinen eines steinernen Burgfrieds auf.
Virginia hielt sich am Fenstersims fest. Irland übte beinahe dieselbe Wirkung auf sie aus wie ihr Zuhause, obwohl das Land hier so ganz anders war.
Sie wandte sich wieder um und sah, dass Fiona sie mit unverhohlener Feindseligkeit musterte. Sie dürfte etwa Mitte zwanzig sein, dachte Virginia. „Ich hätte gerne eine Kleinigkeit zu essen und etwas Tee“, sagte Virginia mit dem arroganten Tonfall einer Sarah Lewis, die an der Marmott Schule für höhere Töchter immer den Ton angegeben hatte.
Fiona versteifte sich. „Kommt gleich.“ Doch sie rührte sich nicht vom Fleck.
„Und aus dem Garten hätte ich gern ein paar Rosen“, fügte Virginia gebieterisch hinzu und hörte sich nun eher wie eine Königin an. „Oh! Dieses Kleid. Hilf mir, es auszuziehen. Es muss augenblicklich gebügelt werden. Ich hätte es gern zum Abendessen zurück.“
Fiona sah aus, als wollte sie dem neuen Gast am liebsten die Augen auskratzen. „Werden Sie seine Gemahlin sein?“, fragte sie mit unterdrücktem Zorn.
Virginia erschrak, zuckte dann jedoch gleichgültig die Schultern. Seine Gemahlin. Eines Tages würde Devlin O’Neill sich zur Ruhe setzen, eine Frau heiraten und Kinder haben. Warum faszinierte sie diese Vorstellung? Wenn dieser Tag käme, wäre sie längst wieder daheim auf Sweet Briar.
Die Verwirrung, die stets aufs Neue einsetzte, sobald sie nur an ihren Entführer dachte, kehrte nun mit aller Macht zurück. Schließlich schaute sie auf. „Vielleicht“, brachte sie unbeschwert hervor.
Fiona zuckte sichtlich zusammen und sah sie düster an.
„Und du? Warst du seine Geliebte? Das war jedenfalls mein erster Eindruck – aber er schien dich nicht gleich zu erkennen, daher bin ich mir nicht ganz sicher.“
„Er ist seit sechs Jahren nicht zu Hause gewesen“, zischte Fiona. „Damals war ich noch ein Mädchen. Ich war gerade mal fünfzehn, aber ich liebte ihn und gab ihm meine Jungfräulichkeit. Jetzt bin ich eine Frau und kenne inzwischen einen Trick oder zwei, die er sicher genießen dürfte! Tatsächlich, Mylady, kann ich es kaum abwarten, ihm heute Abend in jeder nur erdenklichen Weise Vergnügen zu bereiten! Und morgen wird er sich nicht einmal an Ihren Namen erinnern.“
Virginia verspannte sich und fürchtete, die andere Frau könne womöglich recht haben.
„Wie alt sind Sie?“, fragte Fiona nicht ohne Verachtung in der Stimme.
„Zwanzig“, log Virginia.
Die Hausangestellte verdrehte die Augen. „Ich möchte wetten, dass Sie erst sechzehn sind. Lassen Sie mich Ihnen etwas sagen, Mylady. Er wird Sie nie in der Weise ansehen wie mich. Sie sind viel zu dünn! Ein Mann wünscht sich Rundungen, ein Mann mag dies.“ Sie umschloss ihre üppigen Brüste und lächelte dann verträumt, als schwelge sie gerade in der Vorstellung, Devlin mit ihren Reizen zu erfreuen.
Virginia drehte dem Hausmädchen den Rücken zu. Ihr Selbstvertrauen, das nie sehr ausgeprägt gewesen war, drohte sie ganz zu verlassen. Warum machte sie sich etwas vor? Wenn Devlin die Wahl hatte, würde er sich die üppigere Frau nehmen. Daran bestand kein Zweifel.
Fiona lachte über Virginias offensichtliche Bestürzung. „Schauen Sie
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