Wild wie das Meer (German Edition)
wurden. Der schmale Weg wand sich auf einen Höhenzug. Sie fuhren an einigen kleineren Gehöften, an Weizen- und Kartoffelfeldern und frei laufenden Kühen und Schafen vorbei. Weiter vorne sah sie eine Steinkirche und dahinter einige andere eindrucksvolle Gebäude, die sie nicht näher erkennen konnte.
Plötzlich ritt Devlin neben ihrem Fenster, das sie trotz des kühlen Wetters nicht geschlossen hatte. „Das ist Askeaton“, sprach er, und in seinem ernsten Blick sah sie Stolz. „So weit das Auge reicht, gehört das Land mir.“
„Es ist schön.“ Sie lächelte ihn an. „Es erinnert mich an Sweet Briar.“
Er sah sie einen Augenblick an, bevor er seinem Pferd die Sporen gab und vorausgaloppierte.
Jetzt konnte Virginia sehen, dass die Gebäude zu dem Herrenhaus gehörten. Sie sah mehrere Scheunen, einige Cottages und ein prächtiges Landhaus, umgeben von blühenden Gärten. In der Ferne glaubte sie einen alten Turm oder Mauerreste einer Burg auszumachen. Ihr Herz klopfte vor Aufregung. Sie war neugierig, sein Haus und seine Familie kennenzulernen, falls er überhaupt eine Familie hatte.
Die Kutsche hielt vor dem Herrenhaus. Virginia wartete gar nicht erst auf den Fahrer, sondern stieg allein aus. Devlin starrte auf das Gebäude, die Fäuste in die Seiten gestemmt. Das Haus, das drei Stockwerke hatte, sah neu aus, abgesehen von zwei Schornsteinen und einer Außenmauer. Wein rankte an dem Mauerwerk hoch, und an einer Seite befand sich ein Balkon. Sie lächelte. Für einen Mann, der leicht in Rage geriet, verfügte er über ein bezauberndes Haus.
Da öffnete sich die Haustür, und ein großer, schlanker Mann mit dunklem Haar erschien. „Dev!“
Virginia blickte zu ihrem Entführer, und es verschlug ihr den Atem, denn zum ersten Mal sah sie wirkliche Freude in seinen sonst so angespannten Zügen aufleuchten. Sie rührte sich nicht von der Stelle, als der junge Mann über den gepflasterten Weg eilte. „Sean!“, sagte Devlin heiser.
Die beiden Männer umarmten sich lange, und Virginia wagte sich weiter vor. Das musste sein Bruder sein, denn sie waren ungefähr im selben Alter, und Sean sah ebenfalls sehr gut aus. Er hatte dieselben unverwechselbaren silbergrauen Augen, obgleich sein Haar beinahe schwarz war.
Die beiden Männer lösten sich aus der Umarmung. „Das wurde aber auch wirklich Zeit“, rief Sean aus, doch er lächelte bei dem leichten Tadel.
„Da hast du recht“, erwiderte Devlin mit schroffem Unterton. „Das Haus sieht gut aus, Sean. Es ist gewiss solide gebaut, und auch die neue Tür gefällt mir.“
„Warte, bis du erst die Halle siehst. Ich denke, du wirst zufrieden sein.“ Plötzlich hielt er inne, und seine Augen weiteten sich, als sein Blick auf Virginia fiel. „Wir haben einen Gast?“
Devlin drehte sich zu ihr um, und Virginia ließ sich von der Wärme seines freundlichen Lächelns betören. Ihr Herz schien vor Freude aufzublühen, und plötzlich machten sich wieder unbestimmte Sehnsüchte in ihrem Innern bemerkbar. „Ja, wir haben einen Gast“, sprach er und streckte seine Hand nach ihr aus.
Virginia blieb stehen. Dieses Lächeln galt nicht ihr, es war für seinen Bruder bestimmt. Aber es war ein Lächeln, das jegliches Eis zum Schmelzen bringen konnte. Warum erfreute er seine Mitmenschen nicht häufiger damit?
„Virginia, kommen Sie. Ich möchte Ihnen meinen Bruder Sean vorstellen“, sagte er, und das herrliche Lächeln schwand. Sein Tonfall jedoch war so unbeschwert wie nie zuvor.
Virginia lächelte nun ebenfalls und trat vor. „Hallo“, sagte sie nur.
„Wenn ich gewusst hätte, dass wir Besuch haben ...“, sagte Sean mit Bedauern in der Stimme. Sein wacher Blick wanderte von Virginia zu Devlin und zurück. „Doch Fiona wird das Gelbe Gemach in Kürze fertig machen.“
„Das ist Miss Hughes, Sean. Miss Virginia Hughes aus Sweet Briar, Virginia.“
Virginia zuckte zusammen und war verblüfft, dass er sie in dieser Weise vorstellte, und plötzlich gewahrte sie, dass Sean noch erschrockener war als sie.
„Miss ... Hughes!“ , wiederholte er in einem eigenartigen Tonfall.
Warum war Sean nur so überrascht über ihren Nachnamen?
„Lass uns etwas trinken. Es gibt viel zu erzählen“, sagte Devlin und klopfte seinem Bruder auf die Schulter.
In diesem Augenblick war ein Freudenruf zu vernehmen.
Virginia schrak aus ihren Gedanken auf und sah eine dunkelhaarige Frau aus dem Haus eilen. Einen Augenblick lang erkannte Virginia nichts als glattes schwarzes Haar,
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