Wild wie das Meer (German Edition)
Sir“, erwiderte der Junge und führte den schweißnassen Hengst fort.
Virginia lächelte weiterhin angestrengt, obwohl sie bei dem schnellen Pulsschlag einen leichten Schwindel verspürte. „Hatten Sie einen angenehmen Ausritt?“, fragte sie.
„Ja“, gab er knapp zurück und ging an ihr vorbei, aber sein Blick haftete auf dem Haus.
Die nagende Furcht kehrte umso stärker zurück. Virginia versuchte mit ihm Schritt zu halten und betrachtete Seans Profil. Seine gemeißelten, unbeweglichen Züge glichen denen seines Bruders. Es war offensichtlich, dass er sie nicht ansehen wollte.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig.
„Ja.“ Endlich wandte er sich ihr zu. Hatte er sich beim Ausritt einen leichten Sonnenbrand zugezogen, oder war er wirklich errötet? Sein Blick haftete kurz auf ihrem Mund.
Plötzlich war sie sich sicher, dass er genau wusste, was sich abgespielt hatte. Aber konnte er ihr das wirklich am Gesicht ablesen? Waren ihre Lippen etwa noch geschwollen von den Liebesspielen?
Sie wollte nicht, dass er von ihrem Sündenfall erfuhr. „Haben Sie Devlin gesehen?“, erkundigte sie sich, aber zu ihrem Schrecken klang ihre Stimme viel zu hoch und aufgeregt.
„Ja.“ Jetzt wirkte Sean zornig. Er verlängerte seine Schritte und hängte Virginia ab.
Sie musste die Röcke raffen, um ihn wieder einzuholen. „Er ist scheinbar nicht im Haus, und da ...“
„Er ist nicht hier.“
Sie blieb stehen. „Was?“
Doch Sean ging einfach weiter. „Er ist fort“, rief er ihr über die Schulter zu.
Ihr Denken setzte aus. Beinahe krächzend brachte sie heraus: „Fort?“
Da fuhr Sean herum. „Er hat Askeaton verlassen. Er ist nicht hier“, sagte er, und seine Wangen waren vor Wut gerötet.
Sie schluckte schwer. „Wie meinen Sie das, Sean?“ Nur mühsam formte sie die Worte, doch die Antwort glaubte sie bereits zu kennen.
Sein zorniger Blick verschmolz mit ihrem. „Er ist heute früh nach London abgereist.“
Virginias Kehle entfuhr ein Schrei. Und für einen Moment wurde die Welt um sie herum grau, verdunkelte sich und war schließlich nichts weiter als ein schwarzes Feld.
Als sie wieder klar sehen konnte, fand sie sich in Seans Armen wieder. Er sah sie voller Sorge an. Mit einer schwachen Bewegung stieß sie ihn von sich.
Doch er ließ es nicht zu, sondern stützte sie weiterhin mit einem starken Arm. „Sie wären beinahe in Ohnmacht gefallen.“
Sie sah ihm in die Augen und spürte, dass ihr Blick durch Tränen getrübt war. „Er ist auf dem Weg nach London?“
Sean nickte; seine Züge waren angespannt, sein düsterer Blick bereitete ihr Unbehagen.
Es zerriss ihr das Herz. Immer und immer wieder versetzte es ihr einen Stich. Er hatte Askeaton verlassen. Ohne Lebewohl zu sagen. Er hatte es nicht einmal für nötig befunden, sich zu verabschieden. Er war fort. „Wird er zurückkommen?“, wisperte sie.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Sean. „Er sagte, er lasse von sich hören.“
Mit bebenden Lippen sah sie starr in die Ferne.
„Es tut mir leid“, stieß Sean aufgebracht aus. „Ich könnte ihn mit bloßen Händen töten, meinen eigenen Bruder!“
Virginia kämpfte gegen die Tränen an. Es kümmerte ihn nicht, dass sie sich geliebt hatten. Er war fort.
„Ich weiß, was er Ihnen angetan hat, Virginia. Es tut mir leid.“
Sie sah in Seans graue Augen, die so sehr Devlins ähnelten, aber nun Mitgefühl, Bedauern und sogar Schuld zum Ausdruck brachten. Fest hielt er ihre Hände umschlossen.
„Das wissen Sie?“, wisperte sie, und Tränen benetzten ihre Wimpern.
Er nickte. „Ich habe ihn vergangene Nacht gesehen. Es war offensichtlich. Aber Ihr Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben.“
Sie schloss die Augen und zuckte die Achseln. „Es kümmert mich nicht. Vielleicht ist es besser so. Wenn Eastleigh vorhat, mich mit irgendeinem Fremden zu verheiraten, so kann ich jetzt erzählen, was geschehen ist, und niemand wird mich mehr wollen.“ Aber es machte ihr etwas aus. Der Schmerz saß tief, und sie hatte das Bedürfnis, jetzt allein zu sein.
„Nehmen Sie sich das nicht so zu Herzen. Es war nicht Ihre Schuld. Sie sind jung und unerfahren, ein perfektes Ziel für jemanden wie Devlin. Wie soll ein Mädchen Ihres Alters der Verführung meines Bruders widerstehen?“ Er lachte gequält auf. „In Augenblicken wie diesen verabscheue ich ihn. Es ist besser, wenn er fort ist, und wir sollten hoffen, dass er nie zurückkommt.“
„Das meinen Sie doch nicht ernst“,
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