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Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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unterwerfen oder – falls sie ihm in die Quere kamen – erledigen musste. Es hatte Männer, Frauen und Kinder gegeben, sie hatten geschrien, und er hatte sie und ihr Leiden, das ihm als Schwäche vorkam, zutiefst verachtet. Nie hatte er bisher so einen Traum gehabt, und er verstörte ihn.
    Er ächzte, setzte sich mühsam auf und schob die Rücklehne seines Sitzes aus annähernd waagrechter wieder in beinahe senkrechte Position. Es war ein herrlicher Tag in Westmontana, und es regnete nicht. Der Alte fühlte sich hier wohler als im Staat Washington. Der Clark Fork River schäumte rechts von ihnen in raschem Lauf dahin, und sein Schmelzwasser schwemmte mancherlei mit sich. Der Nebel hing tief und hielt sich im Tal wie ein zäher Verwandter. Die bewaldeten Hänge lagen ruhig und dunkel da, weil die Morgensonne sie noch nicht hatte aufleuchten lassen. Brandflächen sprenkelten den Wald wie ein Mosaik, denn vor zwei Jahren hatten in dieser Gegend Feuer gewütet.
    Mit verschlafenen Augen sah er Charlie Tibbs an, der den Wagen lenkte. Tibbs nickte ihm einen Guten Morgen zu und zeigte aufs Radio. Der Alte gähnte und spitzte die Ohren. Der große schwarze Ford Pick-up mit dunkel getönten Scheiben raste durch den Lolo Nationalforst.
    Die Meldung kam gegen Ende der USA-Nachrichten: Der Kongressabgeordnete Peter Sollito aus Massachusetts war ermordet in seiner Wohnung in Washington D.C. aufgefunden worden. Die Polizei der Hauptstadt und das FBI untersuchten den Fall. Sollitos langjährige Haushälterin hatte die Leiche entdeckt, als sie die im Watergate-Komplex gelegene Wohnung ein letztes Mal putzen wollte, nachdem der Abgeordnete ihr eine Woche zuvor am Telefon gesagt hatte, er werde in ein paar Tagen für die Sommerpause zurück nach Massachusetts fahren. Die Polizei ermittelte, doch bisher gab es keine Verdächtigen. Die Todesursache wurde nicht mitgeteilt.
    Aber sie wird ans Licht kommen, sagte sich der Alte. Dass Sollito in seinem Bett mit einer Strumpfhose erdrosselt wurde und zum Zeitpunkt seines Todes betrunken war, würde bald überall Schlagzeilen machen. Man würde Spuren von Lippenstift, lange, getönte Haare und Fasern eines billigen, grellen Minirocks in den Laken finden, und ein Frauenschuh mit langem, spitzem Absatz würde unterm Bett liegen. Die Polizei hatte das Pornomagazin auf Sollitos Küchentresen sicherlich bemerkt, das genau dort aufgeblättert war, wo Huren und Begleitservice-Agenturen aufgeführt waren. Der einfache Schluss aus all dem war: Sollito hatte Sexspiele mit einer Frau gehabt, und diese Spiele waren außer Kontrolle geraten. Das wäre natürlich peinlich und erniedrigend, denn für solche Dinge war Sollito ganz und gar nicht bekannt.
    Bei alldem kam es darauf an – wie Charlie Tibbs dem Alten erklärt hatte, als sie den Aufzug im Watergate-Komplex im Blaumann betreten hatten –, dass Sollito nur durch die Art seines Todes in Erinnerung blieb, nicht durch das, was er im Kongress geleistet hatte.
    Aufgrund seines Sitzes im Ausschuss für Bodenschätze und seiner Verbindungen zu den Medien war der Abgeordnete Peter Sollito der führende Verfechter der Umweltgesetzgebung im Parlament gewesen. Er hatte Gesetze eingebracht, die Holzschlag, Bergbau und die Suche nach Erdgas und Öl auf vielen dem Bund gehörenden Flächen gestoppt hatten. Er hatte einen Antrag zu Fall gebracht, der darauf zielte, die Weidegebühren einzufrieren. Er war der sichtbarste » Grüne« im Kongress – und der lauteste. Umweltgruppen liebten ihn und überschütteten ihn mit Preisen. Seine Wähler waren stolz auf seinen harten Einsatz für die Umwelt und auf seinen Bekanntheitsgrad.
    In Charlies Werkzeugkasten im Lift hatten ein Umschlag mit den Fasern und Haaren, der Schuh, das Pornomagazin und die schwarze Strumpfhose gesteckt. Der Alte hatte einen kleinen Tagesrucksack mit drei Flaschen billigem Champagner dabeigehabt. Und die Pistole. Sollito hatte durch den Spion geschaut und den beiden geöffnet. Schließlich waren es nur zwei alte Männer gewesen.
    » Das hat ziemlich lange gedauert, hm?«, sagte Charlie, als die Nachrichten vorbei waren. » Vier Tage – ich dachte, ein Kongressabgeordneter würde eher vermisst.«
    » Mir kommt es vor, als seien Monate vergangen«, meinte der Alte. Seither hatten sie das Land von Washington D.C. im Osten bis zum Staat Washington im Westen durchquert. Und nun waren sie wieder in Montana.
    » Charlie, schläfst du eigentlich nie?«, wollte der Alte wissen.
    Tibbs mochte

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