Wilde Flucht
angespannt, seine Nerven kribbelten, und er spürte das Herz in der Brust schlagen.
Beim Näherkommen sah er, dass es sich um einen neuen, dunkelgrünen Geländewagen mit Nummernschildern aus Colorado handelte. Jemand hatte laubreiche Espenzweige abgeschnitten und sie über Motorhaube und Frontscheibe gebreitet, um das Auto zu tarnen. Joe sah den Mercedesstern auf dem Kühler prangen. Weil er die Zentrale nicht erreichen konnte, um den Halter des Fahrzeugs zu ermitteln, trug er das Nummernschild in sein Notizbuch ein, um das nachzuholen, sobald er wieder Empfang hatte.
Er saß ab, behielt die Zügel aber in der Hand und spähte durch die Zweige ins lederbezogene Fahrzeuginnere. Auf dem Vordersitz stand ein geöffneter Rucksack, doch es war niemand im Wagen. Er legte die Hand auf die Motorhaube und stellte fest, dass sie noch warm war. Das verwirrte ihn, denn er hatte angenommen, der Wagen gehöre Stewie oder dem, der sich für ihn ausgab, und deshalb geglaubt, das Auto stünde hier schon seit einiger Zeit. Doch auch die Zweige waren frisch geschnitten. Joe hockte sich hin und überzeugte sich davon, dass das Reifenprofil der Spur glich, die ihm auf dem Weg aufgefallen war.
Unschlüssig trat er ein wenig zurück und blickte den alten Weg zwischen den Bäumen entlang, bis er unter zwei mächtigen Fichten endete, die quer über den Weg gestürzt waren, wobei jemand nachgeholfen haben mochte. Ein einzelner Fußabdruck im Staub des Wegs wies den Berg hinauf. Hier muss es sein, sagte er sich. Doch jemand war ihm zuvorgekommen.
Joe saß auf, lenkte Lizzie den alten Weg hinauf, ritt um die quer darauf liegenden Bäume herum und gelangte hinter ihnen wieder auf den Weg.
Er wusste nicht, was er tun und wie er weiter vorgehen sollte. Ursprünglich hatte er hinauf zur Hütte reiten und herausfinden wollen, wer darin war, um dann Meldung zu machen. Doch die Umstände hatten sich geändert. Der Geländewagen bedeutete das Auftauchen einer dritten Partei. Er hatte keinen Funkkontakt, und die Gefahr, dass er – ganz auf sich gestellt – in eine Lage geriet, die er nicht zu handhaben vermochte, war sehr real. Alles, was er gelernt hatte, sagte ihm, dass er Verstärkung brauchte und es im Moment das einzig Vernünftige war, sich zurückzuziehen, wieder auf die Passhöhe zu fahren und über Funk Hilfe anzufordern.
In diesem Moment hörte er einen Wagen auf der Straße näher kommen.
Hinter die mauergleichen Äste der beiden umgestürzten Bäume geduckt, die den alten Weg versperrten, wartete Joe, dass das Auto vorbeifuhr. Er sah es zwischen den Bäumen blitzen, als es von Osten angefahren kam, aus der Richtung also, aus der auch Joe gekommen war. Als es an dem alten Weg vorbeikam, sah Joe es einen Moment lang deutlich: ein so eleganter wie wuchtiger schwarzer Pick-up mit getönten Scheiben und Pferdehänger. Doch kaum war der Wagen vorbeigefahren, hörte Joe ein Zischen und sah Bremslichter durchs Unterholz leuchten. Der Wagen setzte zurück.
Joe drehte sich zu Lizzie um und sah sie direkt hinter sich grasen. Er hoffte wider alle Wahrscheinlichkeit, dass sie den Kopf unten behalten würde. Wenn sie ein anderes Pferd im Hänger hörte oder witterte, wäre es nur typisch für sie, den Kopf zu heben und zu wiehern. Pferde waren so – Stuten vor allem, wie er bemerkt hatte. Sie wollten mit anderen Pferden Verbindung aufnehmen.
» Tut mir leid, Mädchen«, flüsterte Joe ihr ins Ohr, nahm dabei ein Lasso vom Sattelhorn und streifte ihr die Schlinge über den Kopf, während sie fraß. Dann wickelte er das andere Ende des Seils mit der rechten Hand um ihre Vorderläufe, nahm die Lassoschlinge in die Linke, zog sie mit einem Ruck an und band Lizzies Kopf mit einem Doppelknoten an dem Seil zwischen den Vorderläufen fest, damit sie ihn nicht heben konnte.
Lizzie blähte die Nüstern, und ihre Augen blitzten. Joe versuchte, sie ruhig zu halten, tätschelte ihr die Schulter und flüsterte ihr zu, damit sie keine Panik bekommen und nicht versuchen würde, das Seil abzuschütteln. Er spürte ihre angespannten Muskeln unter seiner Hand, redete aber weiter mit einer Stimme, die sie hoffentlich beruhigen würde, auf sie ein und sagte, es tue ihm leid, doch es geschehe zu ihrem Besten, und am Abend werde es leckeres Gras zu fressen geben.
Sie beruhigte sich und atmete zufrieden aus, und Joe schloss vor Erleichterung kurz die Augen.
Als er sich dem Baum und dem Weg dahinter wieder zuwandte, stellte er fest, dass ein groß gewachsener Mann
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