Wilde Rose der Prärie
Lorelei musste sie ihr stellen. „Mehr als mein eigenes Leben", gestand ihr Melina. „Aber Gabe ... er zieht ständig umher. Nicht von einer Frau zur nächsten, denn er liebt mich so sehr wie ich ihn. Ich dagegen möchte mich an einem Ort niederlassen, mein Kind großziehen und von niemandem abhängig sein."
Eine unbeschreibliche Traurigkeit überkam Lorelei. „Sie können hierbleiben, so lange Sie wollen", bot sie ihr an, auch wenn es recht beengt zuginge, wenn Angelina und Raul zurückkehren würden. Falls sie zurückkehrten.
Zum ersten Mal, seit Mr. Rafe McKettrick mit den beiden weggefahren war, zog Lorelei die Möglichkeit in Erwägung, dass sie vielleicht nicht zu ihr zurückkamen. Raul konnte auf einer Schlafdecke auf dem Fußboden nicht genesen, vor allem nicht auf diesem ramponierten Boden. Und Angelina konnte ihr noch so ergeben sein, aber das Wohl ihres Ehemanns würde ihr wichtiger sein als Lorelei.
„Ich kann Ihnen beibringen, wie man auf diesem Maulesel reitet", schlug Melina ihr mit einem gewissen Stolz vor.
Entsetzt sah Lorelei ihre neugewonnene Freundin an. „Nein, das können Sie nicht!", protestierte sie. „Sehen Sie sich doch an! Sie ... na ja, Sie erwarten ein Kind!" Melina lächelte, blies in die Tasse und trank einen Schluck Tee. „Ich habe ja nicht behauptet, dass ich auf der Bestie reiten will. Ich sagte nur, ich bringe es Ihnen bei."
„Ich weiß nicht, ob ich mich traue, es noch einmal zu versuchen", räumte Lorelei ein. Auch ohne Holt McKettricks Einmischung war sie in Panik geraten, als das Tier zu bocken begann.
„Aber sicher trauen Sie sich", meinte Melina überzeugt. „Wie heißt er?"
„Seesaw", antwortete sie und musste daran denken, wie der Kutscher gegrinst hatte, als sie ihm die fünfunddreißig Dollar übergab.
Melina betrachtete das Tier nachdenklich. „Man hat ihn geschlagen. Vermutlich auch hungern lassen. Jedes Geschöpf scheut, wenn es Angst bekommt, ganz egal, ob es zwei oder vier Beine hat. Wir müssen ihm nur zeigen, dass wir ihm nichts antun wollen, dann wird er schon friedlich werden."
„Ich wünschte, ich hätte etwas Getreide hier", sagte Lorelei. Als Kind hatte sie Raul oft zugesehen, wenn er die Pferde ihres Vaters versorgte. Manchmal gestattete er ihr, den Tieren eine Handvoll Hafer und Getreide hinzuhalten.
„Sie haben doch Zucker", kam es Melina in den Sinn. „Sie haben welchen in den Tee getan."
Lorelei begann zu strahlen. Zucker kostete ein kleines Vermögen, aber wenn sich damit dieser satanische Maulesel besänftigen ließ, dann konnte sie ein wenig erübrigen.
Beide Frauen stellten die Tassen weg und standen gleichzeitig auf. Lorelei ging nach drinnen, gab ein paar von den groben braunen Kristallen in ihre Handfläche und näherte sich dem Maulesel. „Hier, Seesaw", rief sie leise.
Der Maulesel stand immer noch im Schatten unter der Eiche und graste, als er sie bemerkte und argwöhnisch beäugte.
„Ich habe Zucker für dich", redete sie weiter.
Seine Ohren zuckten, aber dann biss er wieder ein paar Grashalme ab. „Bewegen Sie sich nicht zu hastig", empfahl ihr Melina.
Lorelei machte einen weiteren vorsichtigen Schritt nach vorn, wobei sie die Hand mit dem Zucker ausgestreckt vor sich hielt. „Ich hab hier was für dich." Wieder hob Seesaw den Kopf und schien zu schnuppern.
„Vorsichtig", warnte Melina, die sich gegen einen anderen Baumstamm lehnte und von dort das Geschehen verfolgte.
Behutsam setzte Lorelei einen Fuß vor den anderen.
Seesaw brüllte, doch es klang recht freundlich, und dann kam er ihr langsam entgegen.
20. Kapitel
Rauls Gesicht war blass, als Rafe und Holt ihn vor der Praxis von Dr. Elias Brown in einer düsteren Seitenstraße von San Antonio vom Wagen holten. Sein Kopf kippte zur Seite, während sie ihn auf die Beine stellten und seinen hageren Körper stützten. Eigentlich war er so leicht, dass einer von beiden ihn mühelos hätte tragen können, doch sie wussten, dass die Schmerzen ihn zwar nahezu rasend machten, er aber seine Würde wahren wollte.
Der Doktor kam aus dem Haus gestürmt, als sie das Tor im weißen Gartenzaun erreicht und geöffnet hatten. Auf den ersten Blick glaubte Holt, er habe einen blonden Jungen vor sich. Brown war keine ein Meter zwanzig groß, obwohl er Stiefel trug, und sein Kopf hatte die Größe einer Wassermelone.
Als der kleine Mann langsamer wurde, konnte Holt sein graues Haar und den Bart ebenso erkennen wie das Stethoskop, das um seinen Hals hing und fast bis
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