Wildes Blut
seltsam. In den ersten Wochen ihrer Ehe hatte sie niemals das Gefühl gehabt, von Lucero geliebt zu werden. Sie wollte diesen Gedanken lieber nicht weiter verfolgen und sprach das erste aus, was ihr in den Sinn kam: "Wohin gehst du? Der Tag ist noch kaum angebrochen."
Er betrachtete verlangend ihr zerzaustes Haar und das gerötete Gesicht und zog spöttisch eine Braue hoch. "Du führst mich stark in Versuchung zu bleiben, Geliebte, aber Hilario wartet. Wir wollen anfangen, alle Pferde und Rinder zusammenzutreiben, die wir innerhalb eines Tages finden können. Ich kenne einige hervorragende Verstecke, wo wir die besten von ihnen unten am Yaqui überwintern lassen können.
Wenn wir die unmittelbare Umgebung durchkämmt haben, müssen wir weiter hinausreiten, zwei bis drei Tage weit, um alles zu durchforschen", erläuterte er.
Er zog ein blaues Baumwollhemd an und bedeckte damit seine harte, behaarte Brust und all die geheimnisvollen und erregenden Narben. Eine beunruhigende Wärme breitete sich in ihrem Bauch aus. Sie versuchte, sich auf seine Worte zu konzentrieren. "Wann wirst du heute Abend zurückkommen?"
"Nicht vor Einbruch der Dunkelheit, nehme ich an."
"Ich werde heute mit Juan Morales arbeiten."
"Mit dem alten Gärtner? Warum zum Teufel - wir haben keine Männer übrig für einen Blumengarten."
"Natürlich nicht", gab sie empört zurück. "Er und einige der älteren Dienstboten helfen mir im Gemüsegarten. Wir haben ein Maisfeld angelegt und auch Bohnen, Chili, Tomaten und Yamswurzel angebaut - fast alles, was man für den Winter trocknen oder einkochen kann. Dein Vater hielt es für entwürdigend, dass ich mit den Peons im Schlamm arbeite, aber wir können es uns nicht le isten, Nahrungsmittel in großen Mengen einzukaufen."
"Wenn es schon meinem Vater nicht gefiel, dann kann ich mir vorstellen, was meine Mutter dazu sagt", entgegnete er trocken. Er trat ans Bett und nahm ihre Hand, hielt sie fest und betrachtete die Schwielen darauf, dann küsste er sie. Ihre Blicke begegneten sich. "Arbeite nicht zu hart, solange ich fort bin, Mercedes."
Wärme durchflutete sie bei dieser zärtlichen Geste. Er legte ihre Hand auf das Bettuch zurück, dann ging er zu der großen Kommode neben dem Fenster, auf der seine Waffen lagen. Er befestigte das Messer an seinem Schenkel und warf sich den Revolvergurt über die Schulter. Dann nahm er den Henrystutzen und verließ den Raum.
Mercedes verbrachte die kühlen Stunden des frühen Morgens draußen auf den Feldern, Seite an Seite jätend mit den Landarbeitern. Endlich stützte sie sich auf den Rechen und betrachtete die grünen Reihen mit jungem Mais, der in der harten, trockenen Erde schlecht wuchs. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und dachte nach.
"Die Pflanzen brauchen Wasser, Dona Mercedes", sagte Juan, als auch er seine Arbeit unterbrach.
"Ich habe darüber nachgedacht. Ein Seitenarm des Yaqui fließt hinter den Feldern nach Osten. Wir könnten einen Teil davon umleiten. Ich habe über diese Art der Bewässerung gelesen." ."
Juans Miene drückte Respekt aus. "Man sagt, die Indianer im Süden, in den großen Tälern Mexikos, haben Felder so reichlich bewässert, dass man das Ende mit bloßem Auge nicht erkennen konnte. Sie haben sogar Leitungen gebaut, die das Wasser Hunderte von Meilen weit transportierten."
"Die Aquädukte, ja", murmelte sie und betrachtete den verhutzelten kleinen Indianer in verblichenen weißen calzones und camisa. Unergründliche schwarze Augen funkelten in einem flachen Gesicht, das gleic hzeitig uralt und alterslos wirkte.
"Meinen Sie, wir können so weit graben, Senora?"
Mercedes sah auf den ausgedörrten Boden. "Wir müssen es tun, Juan. Heute Nachmittag werden wir ans Ufer des Nebenflusses gehen und uns den besten Platz aussuchen, um anzufangen."
Als sie zum Haus zurückkehrte, stand die Sonne hoch am Himmel. Rosario hatte vermutlich schon gefrühstückt und spielte nun irgendwo in der Nähe der Küche. Sie hatte das Kind Angelinas und Lupes Obhut anvertraut, aber beide Frauen hatten viel zu tun. Vielleicht war es besser, Rosario mitzunehmen auf die Felder, dort war es allerdings heiß und staubig, und es gab nur wenig Schatten.
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie an Pater Salvador dachte, der nach der Morgenmesse wenig mehr tat als zu beten und religiöse Traktate zu lesen. Sie musste über Rosarios Unterricht mit Lucero sprechen. Der strenge alte Priester hatte ihren Ehemann nie gemocht. Vielleicht wollte
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