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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Zahrnt
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bestanden war. Über die Flanken ergossen sich Wasserfälle in feinen Kaskaden. Weit hinten glitzerte ein Gletscher.
    Sie liefen fröhlich zum Flüsschen, das sich durch ein helles Kiesbett in der Talsenke schlängelte. Barfuß stiegen sie über die glattgeschliffenen Kiesel ins stechend kalte Gletscherwasser, bespritzen sich und versuchten, auf der Strömung flache Steine springen zu lassen. Während ihre geröteten, prickelnden Füße an der Sonne trockneten, machten sie sich über ihr Picknick her. Laura unterhielt sich mit Michael über Bands, Musiksender und ihre künftige Karriere als TV-Moderatorin. Als Michaels Beteiligung nachließ, versandete auch dieses Gespräch und alle träumten zufrieden unter dem tiefblauen Himmel.
    Auf einmal zischte Laura: „Ein Bär!“
    Jan schoss so schnell aus dem Halbschlaf hoch, dass er sich nicht gleich zu orientieren vermochte. Dann sah er, wie rund hundert Meter stromaufwärts ein gewaltiger Grizzly durchs Wasser plantschte. Zwei Junge folgten dicht.
    „Shit“, flüsterte Greg. „Ist das ein Viech!“
    „Sollten wir nicht Lärm machen?“, fragte Jenny.
    „Ich weiß nicht, ob die uns entdeckt haben“, flüsterte Michael. „Falls sie näher kommen, stehen wir alle auf und ziehen eine Show ab.“
    Die Bären durchquerten den Fluss und ließen sich auf der anderen Seite nieder. Die beiden Kleinen rauften und kugelten umeinander.
    „Sind die süß!“ Jenny hatte sich halb aufgerichtet.
    Das Muttertier hob den Kopf, schaute in ihre Richtung und trottete mit ihren Kleinen das Tal hinauf. Alle standen auf, um die Bärenfamilie zu beobachten, bis sie zwischen den Sträuchern verschwand.
    „Was machen wir jetzt?“, fragte Laura. „Wo befinden sich eigentlich die Reste von Reffords abgebranntem Haus?“
    „Hm, wenn wir von hier direkt zum See runtergehen, müssten wir darauf stoßen“, antwortete Michael. „Zwei Stunden westlich von unserem Haus, hat mir Wilken erzählt ... der Mensch, der sich am Telefon als Mr. Wilken ausgegeben hat. Aber ich würde lieber direkt zurück, falls doch ein Flugzeug –“
    „So ein Stuss! Irgendein Spinner hat sich mit uns einen Witz erlaubt. Klingelstreiche für Erwachsene. Deswegen willst du nicht zur Ruine? Unsinn!“
    Sie machten sich auf den Weg. Als sie den Waldrand erreichten, verschwand Jenny „für kleine Mädchen“. Gleich darauf ertönte ein greller Schrei. Zwischen den Büschen ragte der Kopf eines Grizzlys auf. Jenny kam zurückgestolpert, fing sich wieder und rannte kreischend in Richtung der Anderen.
    Der Bär drängte ihr hinterher ins Freie. Sein dunkler Kopf wirkte klein vor dem rotbraunen Körper, der hinter seinem Nacken zu einem Buckel zusammenlief. Seine stämmigen Beine standen weit auseinander, bei jedem Schritt schwankte der massige Rumpf.
    Jan dachte, dass der Bär eher neugierig als angriffslustig aussah, doch Greg hatte das Gewehr schon von der Schulter gerissen und feuerte in die Luft. Erstaunlich behände wuchtete sich der Koloss herum und floh in den Wald.
    Jenny lachte hysterisch, als sie sah, dass der Bär verschwunden war. Greg legte ihr einen Arm um die Schulter und machte sich über ihren Schreck lustig.
    Von da an übernahm er die Führung, Michael und Jan hielten sich mit langen Stöcken hinter den beiden Mädchen. So gelangten sie hinab an den See. Der Uferbereich war meist steinig und gut begehbar, nur selten mussten sie nach einer Passage durch dorniges Gestrüpp oder sumpfige Wiesen suchen.
    Bald sahen sie einen Steg und eine Fahnenstange, an der sich ein Fetzen müde in der Nachmittagsluft bauschte. Das Haus selbst entdeckten sie erst, als sie fast darauf standen. Nur schwarze Flecken zwischen dem Gras und einige verkohlte Stämme, längst von Winden überwuchert, verrieten es noch.
    „Die Geschichte war ja schon gruselig“, sagte Jenny, „aber wenn man die Ruine sieht, begreift man erst, dass all das wirklich geschehen ist.“
    Greg stocherte mit einem Ast zwischen den Stämmen.
    „Meinst du, du findest das Feuerzeug des Täters?“ Michael verzog den rechten Mundwinkel. Die Schwellung auf der linken Gesichtsseite hatte sich im Laufe des Tages weiter verfärbt.
    Greg warf den Ast ins Gras und zuckte die Schultern. „Warst du schon mal am Tatort eines Mordes?“
    „Wenn die kleine Refford wirklich ermordet worden ist, dann eher in unserem Märchenschloss.“
    „Wieso kleine Refford? Sie war damals 16. Also wäre sie jetzt so alt wie wir“, sinnierte Greg. „Sexy soll sie gewesen

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