Wildrosengeheimnisse
Stefanie hat sehr gesund gelebt, nie geraucht, viel Sport gemacht. Wir waren fassungslos, konnten es nicht glauben. Warum ausgerechnet sie? Ein lebensfroher Mensch, so voller Energie, die sich darauf freute, dass wir bald mehr Zeit füreinander haben würden, dass ich nur noch ein paar Jahre im Dienst zu sein brauchte. Wir wollten reisen, die Welt entdecken. Ein halbes Jahr später war sie tot.« Michael versagen die Worte. Und es gibt nichts, absolut nichts, was ich sagen könnte, um ihn zu trösten. Darum lege ich nur die Hand auf seine und drücke sie fest. »Oft hat sie davon geredet, dass sie so gern einmal mit mir nach Island möchte. Warum nur habe ich ihr diesen Wunsch nie erfüllt? Immer war mir etwas anderes wichtiger. Der Job, der Hausbau. Meistens hat es nur für Italien gereicht. Wie gern würde ich mit ihr nach Island fahren, aber es geht nicht mehr, es ist zu spät.« Michael holt tief Luft. »Alle sagen, das Leben geht weiter. Und das tut es auch. Es ist nur nicht mehr so bunt wie früher.«
»Doch, Michael, das ist es«, betone ich und zeige ihm den blauen Himmel, die weißen Wolken, die roten Rosen, die direkt vor uns blühen. »Eines Tages wirst du auch die schönen Dinge des Lebens wieder sehen können. Du musst dir nur Zeit geben. Ich weiß, es klingt blöd, aber dieser alte Spruch, dass die Zeit alle Wunden heilt, an dem ist etwas dran.«
Oh Gott, wie banal sich das anhört. Angesichts dieser Geschichte kommen mir meine eigenen Sorgen so unwichtig vor.
Auf einmal steht Michael auf. »Bevor wir in Selbstmitleid zerfließen, möchte ich dir etwas zeigen. Kommst du mit?«
»Wohin denn?«
»Ich möchte dir eine Stelle zeigen, die Stefanie besonders liebte. Auf der Insel Reichenau. Am Ende der Insel kann man einen wunderbaren Spaziergang machen und anschließend dort in der ›Sandseele‹, einem kleinen Restaurant am Campingplatz, den Sonnenuntergang beobachten. Der ist filmreif.« Und ein kleines Lächeln ist auf sein Gesicht zurückgekehrt.
»Da musst du mich nicht lange überreden. Aber warte mal, Reichenau sagtest du? Ich glaube, ich kenne die Stelle. Ich war noch nie da, aber meine Mutter kennt sie, glaube ich, und liebt sie auch. Sie hat sogar ein Bild dort gemalt.«
»Wirklich? Wo hängt es? Kann ich es einmal sehen?«
»Natürlich. Das Bild hängt zwar in Ninis Zimmer, aber sie hat ganz bestimmt nichts dagegen, wenn ich es dir kurz zeige.«
Wir nehmen unsere Gläser und Teller mit hinein und gehen nach oben in Ninis Zimmer, wo das Bild direkt neben dem Fenster hängt, weil dort das beste Licht ist.
Meine Tochter hat das Bild von ihrer Omi zum Geburtstag bekommen, zum 16. Es zeigt einen wunderschönen Sonnenuntergang am Südufer der Insel. Man sieht den Untersee, das Schweizer Ufer und die Halbinsel Höri.
»Wow. Das ist genau die Stelle, die ich meine«, stellt Michael anerkennend fest. »Ich wusste gar nicht, dass deine Mutter so toll malen kann. Das Bild hätte ich am liebsten auch.«
»Ich kann sie mal fragen, ob sie dir vielleicht so ein ähnliches malen kann, wenn du möchtest«, antworte ich.
Das wird sie sicher gern tun, vor allem, wenn ich ihr von Michaels Schicksalsschlag erzähle.
»Ach, Maja, das wäre wunderbar. Würdest du das tun? Sie soll mir nur den Preis nennen.«
Ich weiß auch so, ohne meine Mutter zu fragen, dass sie niemals etwas verlangen würde.
»Na, prima. Dann möchte ich da jetzt aber auch gern hin. Wenn ich schon frei habe heute. Sollen wir?«
Mit diesen Worten gehe ich bereits zur Tür.
Michael blickt immer noch fasziniert auf das Bild und kommt mir rückwärts nach.
Dabei stolpert er über Ninis Badetasche, die wieder einmal mitten im Zimmer liegt, und strauchelt.
»Hoppla, nicht fallen«, ich halte ihn fest.
Doch die Tasche fällt um und der ganze Inhalt purzelt heraus.
Ein Badetuch, in das ein nasser Bikini eingewickelt ist, ein Kosmetiktäschchen, die neueste Ausgabe der ›Glamour‹ und eine kleine Tüte mit …
»Das sieht aus wie Gras«, Michael grinst. »Raucht deine Tochter hin und wieder einen Joint?«
»Um Gottes willen, nein. Natürlich nicht, ich meine, das wüsste ich.«
»Ich glaube, die wenigsten Eltern wissen das«, antwortet Michael.
»Hilfe, das ist doch strafbar und du bist bei der Polizei. Werden wir jetzt bestraft?«
Ich bin total durcheinander. Was in aller Welt soll das denn jetzt? Ist mein Leben nicht schon kompliziert genug?
»Also, so wenig, wie das ist«, Michael prüft das kleine Säckchen, »gibt es da
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