Wildrosengeheimnisse
vanillegelben Spitzen-Oberteil, spricht uns an.
»Hi. Kann ich was für euch tun? Oder wollt ihr euch erst mal umschauen?«, fragt sie, die Lässigkeit in Person.
Ich bin hocherfreut. Offenbar hält sie mich noch nicht für eine alte Schachtel, denn sonst würde sie uns nicht duzen, oder? Eine gefühlte Sekunde später erscheint sie mit einem Biker-Jäckchen in hellem Türkis und wedelt damit vor Ninis Nase herum.
»Schau mal, das haben wir heute hereinbekommen. Aus Italien, ist das nicht toll?«
Nini bekommt große Augen.
»Wow.« Zögernd nimmt sie das Stück in die Hand.
»Einfach mal überziehen. Könnt ich mir super vorstellen zu deinem blonden Haar.«
Während Nini sich von allen Seiten in dem riesengroßen Spiegel betrachtet, schlendert die Elfe zu mir herüber.
»Für dich hab ich auch ganz was Schönes. Schau mal …«
Sie zeigt mir ein undefinierbares Etwas in Dunkelgrau. Größe XXL, schätze ich mal. Was, um Himmels willen, soll das sein? Eine Decke?
»Du, das ist 100 Prozent Leinen. So eine lässige Jacke trägt man jetzt in Italien. Kannst du zu allem kombinieren. Über ein Kleid, eine Leinenhose und ein Top ziehen, zu jeder Gelegenheit passend. Kannst du auch mal ins Konzert anziehen oder so.«
Also wirklich. In diesem Teil würde ich nicht einmal unsere Rosenhecke schneiden. Geschweige denn in ein Konzert gehen, nicht einmal ins Altersheim. Wer trägt denn so etwas?
Sie sieht meinen zweifelnden Blick und meint lässig: »Einfach mal überziehen«, während sie zu Nini hinüberschlendert. Diese scheint ganz verliebt in die Jacke zu sein, doch ich bemerke ihren verstohlenen Blick auf das Preisschild. Schon hat sie das Stück wieder ausgezogen.
»Wir nehmen sie«, sage ich zu der Verkäuferin.
»Du, das machst du richtig. 99 Euro ist doch auch geschenkt für so ein klasse Teil«, antwortet diese und ist auf dem Weg zur Kasse.
»Kein Wunder, dass der Chef so einen schicken BMW fahren kann«, flüstere ich Nini zu.
»Mama, lass das mal, ich brauch die Jacke doch gar nicht. Die ist doch viel zu teuer«, will Nini mich auf dem Weg zur Kasse bremsen.
»Quatsch. Du hast mir sooo viel geholfen, und zwar nicht nur heute, liebes Töchterlein.«
Es tut so gut, ihr auch einmal eine Freude zu machen, dass ich darüber sogar dieses dunkelgraue Leinen-Monster vergesse, welches die Verkäuferin mir andrehen wollte.
Wir stöbern noch durch die ›Buch-Kunst-Galerie Jäger‹, wo wieder die tollsten Bilder ausgestellt sind und die neuesten Schmöker darauf warten, in der Hängematte verschlungen zu werden. Ich frage mich, wann ich das letzte Mal in Ruhe ein Buch gelesen habe.
Ich sehne mich danach, auf meiner Terrasse zu liegen und mal gar nichts zu tun. Nur zu lesen. Gerade will ich die Abteilung ›Schwangerschaft und Geburt‹ ansteuern, als mir einfällt, dass Nini von meinem Glück noch nichts weiß.
»Lass uns noch ein bisschen Parfum ausprobieren«, freut sich diese gerade.
Doch auch die Verkäuferin in der Parfümerie kann mich heute nicht zum Kauf motivieren. Sie ist ein faltenfreies Wesen Ende 20, das mir doch tatsächlich, während Nini die neuesten Düfte ausprobiert, das aktuellste Jugendlichkeitsserum von Dior aufschwatzen will.
»Also bei Ihren Augenschatten. Da ist das der Retter in der Not.«
Meine Augenschatten sind entstanden durch viel zu viel Arbeit, zu wenig Schlaf und dem schwärenden Misstrauen meinem Liebsten gegenüber. Und schwanger bin ich auch noch. Da braucht es schon einen anderen Retter in der Not. Schlaf zum Beispiel.
Ich ziehe Nini aus dem Laden.
»Komm, lass uns ein Eis essen gehen. Genug geshoppt für heute.«
Wir haben Glück und finden ein Plätzchen in einem netten Biergartenlokal direkt am Hafen. Entspannt und zufrieden genießen wir die besondere Atmosphäre mit dem Blick auf das schöne Schloss Montfort. Die Sonne steht schon tief und taucht den Himmel über den nahen Bergen in eine orange-rosa Farbsinfonie. Das Schiff ›Bayern‹ verlässt gerade den Hafen und gleitet über das tiefblaue Wasser. Schweigend betrachten wir diese wundervoll friedliche Szene. Wie oft werden wir noch einen solch schönen und ruhigen Abend zusammen verbringen können?, denke ich, auf einmal seltsam traurig. Der Sommer neigt sich dem Ende zu und somit rückt Ninis Studienbeginn näher. Während wir unser Eis löffeln, spreche ich Nini direkt an: »Sag mal, Maus, du wolltest doch nicht nur eine Spritztour mit deinem Auto mit mir machen. Irgendetwas brennt dir doch auf der
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