Willi von Bellden (German Edition)
Nirgendwo führen würde, vernahm ich ein Rascheln dicht neben mir.
Pfeilschnell schoss ich herum und konnte gerade noch sehen, wie ein schwarzer Schatten schnell auf mich zugerannt kam. Mir stockte der Atem. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich in diesem Moment nicht vor Angst wie gelähmt gewesen wäre. Es ist durchaus einer Betrachtung wert, welche Gedanken einem durch den Kopf jagen, wenn das Gehirn keine Befehle mehr von seinem versteinerten Körper empfängt. Ich dachte sofort an eine Gestalt aus der Unterwelt oder noch schlimmer, an einen Außerirdischen. Doch das angstbesetzte Geschöpf aus dem Jenseits entpuppte sich als niemand anderes als Sammy.
Ich traute meinen Augen nicht so recht. Im Unterbewusstsein konnte ich die vielen Stimmen weit unter mir hören, die immer nur ein und dasselbe Wort schrien: »Geroooooold!«
»Was hast du hier zu suchen?«, fauchte ich den Köter an.
»Dasselbe wie du. Ich bin auf der Suche nach Gerold«, erwiderte mein Erzfeind ungetrübt.
»Wer hat dir gesagt, dass du mir hinterherrennen sollst?«, zischte ich voller Abscheu.
»Man kann es mit der Feindseligkeit anderen gegenüber übertreiben. Und nun bitte ich dich einfach nur darum, alles zu unternehmen, damit wir dieses Kind finden. Nur die Suche nach ihm hat Priorität, sonst nichts. Vielleicht kannst du dir deine gemeinen und verletzenden Worte für später aufheben«, sagte er und sah mich dabei arglos an.
Verdutzt und unfähig, etwas zu erwidern, starrte ich ihm nach, wie er an mir vorbei- und weiter den steilen Berg hinauflief.
Es dauerte kurze Zeit, bis ich meine aufkeimende Wut unter Kontrolle gebracht hatte. Dieser Spinner, dachte ich. Niemals war ein vierjähriger kleiner Junge diesen unwegsamen Hang nach oben getrottet, auch wenn eine gewisse Spur andeutete, dass die Kinder hier gewesen sein mussten. Zumal es hier auch nichts ersichtlich Interessantes zu entdecken gab. Schnaubend drehte ich mich herum und machte mich bereit, wieder hinunterzugehen. Zuerst dachte ich, Sammy hätte sich zum ersten Mal in all den Monaten den Mut gefasst, meine ständigen Beleidigungen zu kontern. Doch dann wurde mir schlagartig klar, wie absurd dieser Gedanke war.
Plötzlich hörte ich ein entferntes Bellen. Es war Sammy, er bellte ganz klar und deutlich um Hilfe. Dort oben hatte er anscheinend etwas entdeckt und rief nach mir. Schnell wie der Blitz änderte ich abermals meine Richtung und rannte den Berg hinauf. Ich ächzte und stöhnte, meine Zunge hing mir fast ganz aus dem Hals, als ich oben ankam und dem Bellen folgte, das mittlerweile in lautes Klagen übergegangen war. Sein schwarzes Fell glänzte in der finsteren Dunkelheit. Er stand am Rand einer tiefen Grube, die mir irgendwie bekannt vorkam. Dann fiel es mir endlich ein. Ich war vor langer Zeit schon einmal hier gewesen, mit Tanner, Bernhard, Jörg und Achim. Die Erinnerung wurde klarer. Die Männer hatten vorgehabt, eine Höhle zu erkunden, doch dann festgestellt, dass sie nicht genug Material dabei hatten, um sich abzuseilen. Die Höhle! In selben Augenblick konnte ich ein Wimmern aus der vermeintlichen Grube hören. Gerold! Es war wirklich Gerold, und er war vermutlich in diese Höhle hineingefallen. Oh Bello! Die Höhe schätzte ich mindestens auf sieben Meter; man konnte durchaus einen solch tiefen Sturz überleben, doch die Innenwände bestanden aus feuchtem, glitschigem Gestein, welches durchaus schwere Verletzungen hinterlassen konnte. Jetzt war schnelle Hilfe angesagt. Sammy zitterte am ganzen Körper und hörte nicht auf zu winseln. Seine Erregung steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. Am sinnvollsten wäre es, ihn hinunterzudirigieren, damit er Hilfe holen konnte. Doch ich hatte meine Zweifel, ob er es schaffen würde, sich den nicht Belldisch Sprechenden mitzuteilen. Ich hatte keine andere Wahl.
»Sammy! Lauf runter und hol Hilfe! Beeil dich und sorge dafür, dass die Männer Seile und Gurte mitbringen!«, bellte ich ihn durchdringend an.
Für einen Augenblick starrte er mich fassungslos an, als ob meine Worte nicht bis an sein Gehör vorgedrungen wären.
»Schnell! Gerold braucht deine Hilfe!«, bellte ich noch eine Spur schriller.
Jetzt hatte er begriffen. Eines muss man ihm lassen, dachte ich, als er sich umwandte, um loszusprinten: Er ist gelenkig und schnell wie die Hölle. Wenn ich selbst den Rückweg angetreten hätte, dann wären wahrscheinlich wertvolle Sekunden verstrichen. Sammy schaffte die Strecke wohl in der Hälfte
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