Willkommen in Wellville
die Dienstboten am Weihnachtsabend den Kindern in ihrem Speisezimmer ein besonderes Essen servieren, ein reichhaltiges Essen mit einer aus Protose und Gelatine geformten Gans mit Haselnußfüllung, mexikanischen Tortillas zu Ehren der Rodriguez- und Diaz-Jungen, gebratener Nuttolene, einem Kopfsalat mit Grapefruits und French Dressing und zum Nachtisch einen Sojabohnenkuchen mit Schlagsahne.
Am Tag vor Weihnachten, nachdem er eine Reihe Patienten beraten und die letzten Vorbereitungen für das Fest im San angeordnet hatte, schaffte es der Doktor noch in die Kirche, um sich den letzten Teil des Kinderprogramms anzusehen. Er setzte sich zwischen Ella, die in der ersten Reihe vor sich hin döste, und seine Schwester Clara, gerade als Nathaniel Hirnes aufstand, um »Jesus, vor Weihnachten bin ich so brav, wie es nur geht« aufzusagen. Nathaniel machte seine Sache gut, die Anwesenden kicherten wohlmeinend angesichts des Kontrastes zwischen dem feierlichen Schwur des Jungen und seiner lausbübischen Miene, und der Doktor errötete vor Stolz. Er atmete tief den Geruch nach Tannennadeln und der roten Seife Marke Rettungsring ein und sah sich zufrieden um. Die Kinder – die Hälfte davon seine Mündel – waren frisch gewaschen und strahlten vor Sauberkeit, die Kirche war gemütlich und hübsch dekoriert, und draußen fiel geräuschlos feiner, fedriger Schnee und hüllte die Straßen in zeitlose Stille. Es war alles im Lot. Der Doktor entspannte sich.
Jonella McGimpsie, die fünfzehn war und sich bereits zu einer jungen Frau entwickelte, so wohlgeformt, daß es nahezu peinlich war, stand auf, um Annies und Willies Gebet vorzutragen. Dr. Kellogg beugte sich erwartungsvoll nach vorn. Im Grunde seines Herzens war er sentimental, und er schämte sich auch nicht, es zuzugeben – natürlich nur am rechten Ort –, und er hatte das Gedicht schon immer als tief bewegend empfunden. Während sich Jonellas helle Stimme hob und senkte, begann ihn die altbekannte Geschichte in ihren Bann zu ziehen: Annies und Willies Vater, ein Mann, der sich ausschließlich mit seinen eigenen Problemen beschäftigte, hatte keinen Sinn für die Gebote der Jahreszeit, und als er die Kinder über den Weihnachtsmann und die Geschenke reden hörte, die sie sich erhofften, schimpfte er sie und schickte sie ins Bett. Später, als er an ihrem Zimmer vorüberkam, hörte er, daß sie für ihn beteten, und er war so gerührt, daß er hinauseilte und kurz vor Ladenschluß in den Geschäften alles kaufte, was er bekommen konnte. Jonella machte ihre Sache sehr gut, stockte nie, verlieh den hausbackenen Versen Dramatik und Pathos, und als sie zu der Stelle kam, an der die Kinder ihre Geschenke entdecken, spürte der Doktor, daß seine Kehle vor Rührung zugeschnürt war.
Und genau an dieser Stelle fingen die Störungen an. Ein rüdes Geräusch – das Entweichen von Darmgasen oder die Nachahmung solcher Entladungen – begann, jede Zeile des armen Mädchens zu interpunktieren. Im Publikum war es mucksmäuschenstill. Sie stotterte, fuhr tapfer fort, aber das Geräusch dauerte an.
Dr. Kellogg war erzürnt. Er saß stocksteif und aufrecht auf der harten Holzbank und musterte die Gesichter der Teilnehmer – insgesamt dreiundvierzig Kinder –, um den Urheber dieser empörenden und lästerlichen Geräusche auszumachen. Adolfo Rodriguez blickte sich ärgerlich unter seinen Brüdern und Schwestern und Klassenkameraden um; Lucy DuPlage sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen; Rory McAuliffe war leichenblaß. Nur George – neben Rebecca Biehn und einem Vierjährigen das jüngste Kind auf der Bühne – war völlig ungerührt. Er starrte wie in Trance geradeaus, ohne sich zu regen oder zu blinzeln. Jonella war bei der letzten Strophe angelangt, und noch immer trachtete das rüde Geräusch, sie aus der Fassung zu bringen. Es war George, er mußte es sein. Rieb er die Handflächen aneinander? Preßte er seinen Bizeps gegen die feuchten Stellen unter seinen Achseln? War es ein Bauchrednertrick? Dazusitzen und es auszuhalten war beinahe mehr, als der Doktor ertragen konnte – aber anderes konnte er nicht tun, um zu verhindern, daß er vor Wut losbrüllte.
»Blinder Vater«, deklamierte Jonella mit bebender Stimme, »wer hat dein hartes Herz erweicht« (brrrrt! brrrrt!), »daß du die hastig gesprochenen Worte so bald bereust?« (brrrrt! brrrrt!) »Es war das Wesen, das dich leise die Treppe hinaufschleichen ließ« (brrrrt! brrrrt!) »und dich unsere Gebete
Weitere Kostenlose Bücher