Willküra (German Edition)
konnte es nicht tun. Er hatte vorhin die Möglichkeit gehabt und hatte feststellen müssen, dass er wirklich nicht der Typ dafür war, jemanden umzubringen. Egal wie groß sein Hass war, wie sehr die Person das verdient hatte, oder wie wichtig es, wie in diesem Fall war, er konnte zwar bekämpfen bis zum Äußersten, und das Eliminieren in Auftrag geben, das hatte er während seiner Amtszeit ja auch sehr häufig gemacht, aber eliminieren, also mit der eigenen Hand, das konnte er nicht.
Er überlegte weiter.
Amanus würde es sicherlich nicht tun, denn sie war doch wirklich nur ein kleines, zartes Wesen.
Die Kursleiterin?
Vielleicht, dachte Fürchtedich IX., doch er kannte sie zu wenig, um sie einschätzen zu können. Sie war sehr eigen, das hatte er in einem Kurs, den er damals bei ihr belegt hatte einmal festgestellt. Sie hatte ihn aufgefordert, auf ihre Frage zu antworten, und er hatte gerade erst ausgeholt, um dann irgendwann auf den Kern der Antwort zu kommen, als sie in ihre Schublade gegriffen hatte und sich einfach Ohrenschützer aufgesetzt hatte. Und als sein schwarzer Kugelschreiber plötzlich nur noch blau geschrieben hatte, hatte Gerolat, der auch in dem Kurs gesessen hatte, ihm verraten, dass die Kursleiterin das immer heimlich in den Pausen auswechselte. Wenn sie solche seltsamen Dinge machte, vielleicht kannte sie dann auch keine Skrupel, wenn es um die Eliminierung Willküras gehen würde.
Raja, dachte Fürchtedich IX., war zwar zu vielem fähig, aber definitiv nicht dazu, jemanden zu eliminieren, dafür kannte er sie und ihr sensibles Inneres viel zu gut.
Gerolat jedoch konnte er nach all den Jahren immer noch nicht einschätzen. Er war ein Mann, dem alles und nichts zuzutrauen war. Von allen traute Fürchtedich IX. es Gerolat im Moment am ehesten zu, dass er für das Erreichen seines persönlich definierten Glücks bereit wäre zu eliminieren. Und in diesem Fall wäre es eben Willküra, die ihm zu seinem Glück im Weg stünde. Vielleicht würden auch die Kursleiterin und Gerolat gemeinsam so ein duo infernale geben und Willküra bezwingen, in welcher Form auch immer.
Und dann war da noch der Willkürherrscher. Aber konnte man tatsächlich von jemandem, selbst wenn er der eigentliche Herrscher war, und es um die Rettung des Staates ging, verlangen, seine eigene Schwester zu eliminieren? Fürchtedich IX. wusste zwar, dass Willküra jederzeit dazu bereit war, ihren eigenen Bruder zu opfern, aber anders herum konnte er es sich überhaupt nicht vorstellen. Er hatte nämlich immer das Gefühl gehabt, dass der Willkürherrscher große Stücke auf seine Schwester hielt und ihm die Familienbande wichtiger war als alles andere.
Vielleicht, dachte Fürchtedich IX. über die eventuelle Sinnlosigkeit dieser Situation gerade nach, hätte der Willkürherrscher auch freiwillig auf sein Amt verzichtet, wenn Willküra ihn einfach mal gefragt hätte, ob er sie nicht zur Willkürherrscherin machen wollte. Und vielleicht hätte er es sogar gern gemacht. Aber wahrscheinlich war es auch müßig, sich jetzt darüber Gedanken zu machen, wie der Krieg zwischen ihnen eventuell hätte verhindert werden können, denn Fakt war, es herrschte jetzt Krieg zwischen ihnen und irgendwie würde der enden müssen.
Raja, Amanus und die Kursleiterin kamen jetzt auf das Tor zu. Sie gingen versetzt hintereinander und schienen nicht die beste Laune zu haben.
»Entschuldige die Verspätung, Fürchtedich IX.«, kam Raja als erste durch das Tor, »aber wir mussten erst noch lang und breit und laut kreischend klären, ob und wie in Ordnung, egal, oder unverschämt es ist, wenn Amanus die Kursleiterin ‚Schlampe’ nennt, nur weil sie ihren Teebeutel auf dem Tisch abgelegt, und nicht sofort in den Mülleimer geworfen hat.« Raja verdrehte die Augen. »Und dann mussten wir natürlich noch klären, ob und wie in Ordnung, egal, oder unverschämt es ist, wenn die Kursleiterin ihren Teebeutel auf dem Tisch ablegt, und nicht sofort in den Mülleimer schmeißt.« Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Und dann galt es natürlich noch zu klären, was schlimmer ist, einen Teebeutel auf dem Tisch abzulegen, statt sofort in den Mülleimer zu schmeißen, oder jemanden dafür ‚Schlampe’ zu nennen.« Sie umarmte Fürchtedich IX. »Schön, jetzt hier bei dir zu sein!«
Amanus hatte den Willkürherrschaftlichen Mantel um die Schultern gelegt und ging mit verschränkten Armen und einem schnellen »Hallo« an Fürchtedich IX. vorbei durch das
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