Willküra (German Edition)
rein logisch betrachtet keine Fehlentscheidung eines Willkürherrschers gab.
Auch die Nachwirkungen des Bohnenschnapses verdächtigte er, selbst noch Tage später Schuld daran zu sein, wenn er fahrig, unkonzentriert, aggressionslustig, unfähig zu klaren Analysen und unfähig zu widersprechen war.
Vielleicht hatte sich Gerolat ja ein, zwei, drei Bohnenschnäpse zu viel gegönnt und war deshalb nicht mehr aufgetaucht, überlegte der Willkürherrscher. Er wollte ihm noch zwei Tage geben, bevor er ihn suchen ließ. Einen kleinen Urlaub hatte sich Gerolat ja durchaus verdient für die sonst ständige Verfügbarkeit.
Mit einem Lächeln auf den Lippen öffnete der Willkürherrscher die Tür zum Arbeitszimmer, drückte den grünen Knopf auf dem Willkürherrschaftlichen Tisch und dachte dabei immer noch an den schönen Plausch gerade mit der Mutter des Stabschefs der Ein- und Ausgangs-Überwachung.
Er hatte es sich nicht nehmen lassen, auch von seinen Erfahrungen in diesem Stab zu berichten, als er noch ein blutjunger Wachmann am Hofe war.
Der Diamant war mittlerweile genau neben ihm aufgetaucht.
»Alle Mütter und Väter bekommen heute eine fette Gans vor die Haustür!«, sprach der Willkürherrscher in stolzer Pose vor dem Tisch. »Dazu ein paar Kartoffeln und Möhren. Und Erbsen. Und eine Flasche Wein!«
»Alle, die zur Zeit aktiv Mütter und Väter sind, oder alle Mütter und Väter?«, fragte das System.
»Was ist das für eine blöde Nachfrage? Aktive Mütter und Väter? Ich glaub ich spinne!«, schrie der Willkürherrscher. Und obwohl sein Hals schon wieder leicht kratzte legte er nach.
»Wir fangen doch jetzt hier nicht an, Mütter und Väter zu unterscheiden in Mütter und Väter, die Kinder zu Hause haben, Mütter und Väter die Kinder außer Haus haben, oder Mütter und Väter, die mal Kinder hatten, diese aber leider verstorben sind.«
»Ich führe Befehle gerne so präzise wie möglich aus!«, antwortete die Stimme ohne jegliche Gefühlsregung.
»ALLE die jemals Mütter und Väter waren! Und wo du schon so oberpräzise arbeiten willst: auch alle, die demnächst Mütter und Väter werden!«, schrie er, dass ihm der Speichel aus dem Mund flog.
»Demnächst als Faktum oder als Wunsch einer Elternschaft?«
»ALLE Mütter und Väter. Basta.«
Er wollte gerade wutschnaubend das Arbeitszimmer wieder verlassen, als es vom Garten her an der Tür klopfte.
20
Die Kursleiterin hatte Gerolat hoch geführt, ihm ihr Arbeitszimmer gezeigt, dann den richtigen Trick für Warmwasser im Bad nahe gebracht, dort hatte sie ihm auch noch ein Regal frei geräumt, eine neue Zahnbürste geholt und sie ihre in das Glas auf dem Waschbecken gestellt, und dann hatte sie die Schlafzimmertür geöffnet.
Gerolat hatte in den letzten Jahren öfter mal das dem Schloss nahegelegene Haus besucht, in dem Frauen einsamen und/oder unattraktiven Männern ihre Liebes-Dienste anboten, und durch die zwar betrunkene, aber dennoch großzügige Unterschrift unter seinen Wohnungsvertrag hatte ihm der Willkürherrscher auch regelmäßig nackte Frauen auf Staatskosten in seiner Wohnung zugesichert, aber was er hier mit der Kursleiterin erlebte, spielte in einer völlig anderen Liga. Das hier war echt.
Er bereute seine Entscheidung nicht, für sie dem Hof den Rücken zu kehren und hier zu bleiben. Was konnte ihm der Hof bieten, was dem hier im Entferntesten nahe kommen könnte? Er brauchte nicht lange überlegen.
Nichts konnte ihm der Hof bieten.
Diese Erkenntnis machte ihn glücklich. Vor einer Woche noch, ach was, gestern noch, war sein Leben völlig anders gewesen und der Blick auf die Zukunft war noch grau gewesen und vorhersehbar schlecht.
Er wäre entweder bis an sein Lebensende der Stabschef des Willkürherrschaftlichen Hofes geblieben, oder er wäre von einem neuen Willkürherrscher an eine schlechtere Position versetzt worden. Er hatte sich lieber nie danach erkundigt, wohin sein Vorgänger versetzt worden war, denn er ahnte, dass es kein angenehmer Jobwechsel sein konnte. Ob nun lebenslänglich gleichförmig, oder zwangsversetzt, beides waren schlechte Varianten seines Lebens. Und so wie er die Situation einschätzte, waren es die einzigen beiden Möglichkeiten, die ihm das Schloss bieten konnte.
Aber das hier, hier bei der Kursleiterin, das war eine gute Möglichkeit, sein Leben zu verändern. Im Gegensatz zu den anderen beiden war diese sogar auch aktiv von ihm ausgegangen.
Zum ersten Mal nach dem Bohnenschnaps-Abend mit
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