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Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Titel: Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Noack
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dahin eher als Technokrat hervorgetretene Kanzler, wozu er im Ernstfall fähig ist. Wie er da nach der Flugzeugentführung von Mogadischu sein politisches Schicksal mit der Befreiung der Geiseln verbindet und seinem Spezialkommando GSG 9 den am Ende erfolgreichen Angriff auf die Maschine befiehlt, werden ihm die Landsleute nie vergessen.
    Für den SPD-Chef ein Gebot der Klugheit, dem im Zenit seiner Popularität stehenden Krisenmanager möglichst wenig in die Quere zu kommen und sich ganz auf den eigenen Part zu konzentrieren. Natürlich ist ihm bewusst, dass der Kollege in die Trennung der wichtigsten Ämter nicht aus purem Altruismus eingewilligt hat. Schließlich beruht Schmidts Image als kühler Pragmatiker zu einem erheblichen Grad auf der strikten Distanz zu den Linken, denen er verächtlich weltfremden «Romantizismus» vorwirft. Also soll Brandt die Opposition in der eigenen Partei bändigen und deren Aktivismus in erträgliche Bahnen lenken.

    Nach ihrem knappen Wahlsieg vom Dezember 1976 benötigen die Koalitionäre Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher den SPD -Chef Willy Brandt dringend als Stütze.
    Allzu weit liegen die Auffassungen von Kanzler und Vorsitzendem in dieser Frage ohnehin nicht auseinander. Wie Schmidt meint auch Brandt, dass um der Regierungsfähigkeit willen in den eigenen Reihen der «Realitätssinn» geschärft werden muss – einige der Forderungen, die von den notorischen Systemkritikern an die Adresse der Koalition gerichtet werden, gehen ja auch ihm gehörig auf die Nerven. Aber zumindest ebenso wichtig ist es ihm andererseits, die Sozialdemokratie für neue Strömungen offenzuhalten. In einer Zeit, in der die mächtig anschwellende Umwelt- und Friedensbewegung immer häufiger die Szene bestimmt, will er «möglichst viele der unruhigen jungen Leute», die vor allem gegen die zivile und militärische Nutzung der Kernenergie zu Felde ziehen, «in der SPD angesiedelt wissen».
    Es ist ein Spagat, der ihm dann allerdings zusehends zu schaffen macht. Nach herben Niederlagen bei Kommunalwahlen kommt es zu einem besorgniserregenden Entfremdungsprozess zwischen den sozialdemokratischen Flügeln. Während Schmidt den Verlust bisheriger Hochburgen dem unklaren Profil seiner Partei anlastet, fürchtet der Vorsitzende mit seinem Gespür für künftige Entwicklungen die Gefahr einer Abspaltung. Tatsächlich wird sich mit der Gründung der «Grünen» im Januar 1980 eine neue politische Kraft zu Wort melden – und unter diesen bis dahin frei vagabundierenden «Ökopaxen» finden sich, wie es einer ihrer Initiatoren, Daniel Cohn-Bendit, formuliert, in beachtlicher Zahl «entlaufene Kinder der SPD».
    Dass der Exodus zu stoppen gewesen wäre, mag auch Brandt im Nachhinein nicht behaupten, doch wie sehr er darunter gelitten hat, dass den Kanzler diese Entwicklung augenscheinlich kaum beeindruckte, gibt er ausführlich zu Protokoll. Mehr als einmal sei er bis hart an die Grenze dessen gegangen, was er eigentlich sich und seiner Partei meinte zumuten zu können, und das gelte insbesondere in Bezug auf die junge Generation: «Da kamen wir über ein agree to disagree nicht hinaus.»
    Erste Zweifel beschleichen den Vorsitzenden bereits im Oktober 1977, als der frühere Verteidigungsminister wenige Tage nach dem Drama von Mogadischu ein weiteres Problemfeld entdeckt. In einer spektakulären Rede warnt Schmidt, mit den neuen atomaren Mittelstreckenraketen, die Moskau auf Westeuropa ausrichte, erschüttere die sowjetische Führung die bisher friedenssichernde Balance of Power, und drängt von da an energisch auf Abhilfe. Am Ende seiner unermüdlichen Anstrengungen steht der zwei Jahre später verabschiedete «Nato-Doppelbeschluss», der dem Kreml für den Fall, dass er auf dieser Disparität beharrt, eine umfängliche Nachrüstung androht.
    Für Willy Brandt beginnt die bis dahin schwierigste Etappe. Zwar erklärt er sich nach außen hin bereit, den Kurs der Koalition mit der lapidaren Begründung zu unterstützen, in militärstrategischen Fragen gelte nun einmal der Kanzler als Experte, doch hinter den Kulissen zeichnet sich bald der erste große Zwist ab. Als Schmidt in einer Präsidiumssitzung über die massenhaft demonstrierenden Pazifisten herzieht, outet sich der oberste Sozialdemokrat kurzerhand als Sympathisant. «Junge Deutsche», widersetzt er sich dem regierenden Parteifreund, seien vorzeiten «schon für Schlechteres» auf die Straße gegangen. Letztlich scheut er dann aber doch den

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