Wilsberg 03 - Gottesgemuese
zur Polizei gegangen sein?
Vor der Eingangstür zu den Büroräumen stand ein breitbeiniges, in Grün gekleidetes Milchgesicht, das die wenigen Schnurrbarthaare hegte und pflegte, ohne dass daraus ein Bart geworden war.
»Hier können Sie nicht rein«, maulte es mich an.
»Zufällig bin ich der Inhaber der Detektei. Vielleicht kann ich Ihren Kollegen bei den Ermittlungen behilflich sein.«
»Sind Sie Georg Wilsberg?«
»Alles spricht dafür.«
»Warum sagen Sie das nicht gleich?«
Ich schüttelte den Kopf und drängte mich an ihm vorbei. Ein Bürger in Uniform ist eben doch kein richtiger Bürger.
Sigi stand mit hochrotem Kopf im Empfangsraum, aus meinem Arbeitszimmer hörte ich ein halblautes Stimmengewirr.
»Was ist los?«, fragte ich. »Was suchen die?«
»Keine Ahnung«, sagte Sigi. »Ich wollte sie nicht reinlassen, aber sie hatten einen Durchsuchungsbefehl.«
Ich öffnete die Tür zu meinem Arbeitszimmer und sah drei Männer, die den Schreibtisch und die Schränke durchwühlten. Den einen, der am Aktenschrank stand, kannte ich gut.
Klaus Stürzenbecher drehte sich zu mir herum. Er war älter und grauer geworden, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Seine fahle Gesichtsfarbe verriet, dass sich das Arbeitsklima im Polizeipräsidium nicht gebessert hatte. Stürzenbecher war Hauptkommissar und Leiter der Mordkommission.
»Seit wann bist du für Versicherungsbetrug zuständig?«, fragte ich.
»Versicherungsbetrug?« Stürzenbecher runzelte die Stirn.
Verdammt noch mal, was quatschte ich da rum? »Einer der Fälle, an denen ich gerade arbeite«, sagte ich und versuchte, möglichst gleichmütig zu klingen.
»An welchen Fällen arbeitest du sonst noch?«
»Muss ich das sagen?«
»Es wäre besser für dich.«
Wir starrten uns an.
»Sag mir zuerst, was du da suchst!«
»Ich suche die Akte Anja Kunstmann.«
Mir wurde schwindelig. Ich fühlte mich überhaupt nicht gut. Langsam setzte ich mich auf einen der Freischwinger.
»Anja? Wieso Anja?«
»Weil sie auf mysteriöse Weise zu Tode gekommen ist. Weil wir in ihrer Wohnung deine Telefonnummer gefunden haben. Und noch aus einem schwerwiegenderen Grund.«
Automatisch fragte ich: »Der wäre?«
»Sie saß in deinem Auto.«
Ich war nicht bewusstlos, aber auch nicht aufnahmefähig. Stürzenbecher stellte mir Fragen, die ich nicht verstand. In meinem Gehirn war nur Nebel. Nebel, durch den finstere Gestalten stapften, die sich ab und zu herabbeugten und mich aus nächster Nähe betrachteten. Schock nennt man das wohl.
Als ich wieder so weit war, bat ich Sigi, mir eine Tasse Kaffee zu bringen. Dann sagte ich zu Stürzenbecher: »Schick deine Leute raus! Ich erzähl dir die Geschichte.«
Er gab den beiden anderen ein Zeichen und setzte sich auf den zweiten Freischwinger. Und ich erzählte, von Anfang an.
XI
»Es gibt keinen Grund, warum sie die Absperrung durchbrochen hat und in vollem Tempo in das Hafenbecken gesaust ist. Die Straße war leer, nicht vereist und nicht glitschig. Es war helllichter Tag. Mindestens zwei Zeugen haben ausgesagt, dass sich niemand in der Nähe des Autos befand, als es passierte. Nach dem vorläufigen Befund lassen sich keine Verletzungen feststellen, die nicht von dem Aufprall herrühren. Natürlich ist es möglich, dass sie unter Medikamenten- oder Drogeneinfluss stand, aber das werden wir erst nach der Obduktion erfahren. Also war es ein Unfall – oder Selbstmord.«
»Vielleicht hat jemand an den Bremsen oder der Lenkung herumgefummelt«, sagte ich.
Stürzenbecher wiegte den Kopf. »Auch möglich. Aber es wird schwierig sein, das zu beweisen. Von dem Auto ist nicht viel übrig geblieben.«
Von ihr wahrscheinlich auch nicht, dachte ich und kämpfte gegen die Übelkeit an.
»Wieso ist sie eigentlich nach Norderney gefahren?«, fragte ich, um mich abzulenken.
»Tja, genau wissen wir das nicht. Ihre Freundin, eine gewisse Kerstin Mierbaum, hat uns erzählt, dass die Kunstmann einen Anruf von ihrem Mann bekommen hat. Den Inhalt des Telefongesprächs wollte sie nicht preisgeben. Die Mierbaum hat sie gedrängt, doch endlich zur Polizei zu gehen, aber davon wollte Frau Kunstmann nichts hören. Wir nehmen an, dass ihr Mann sie gebeten hat, nach Norderney zu kommen.«
Ich lächelte grimmig. Und genau zu dem Zeitpunkt war ich bewusstlos. Haben Sie Vertrauen zu Georg Wilsberg! In entscheidenden Momenten fällt er in Tiefschlaf.
»Die Sache war eine Nummer zu groß für dich«, hieb Stürzenbecher in dieselbe Kerbe.
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