Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
meine Diskettenbox. Und auf der Diskettenbox lag ein langes braunes Haar. Weder Sarah noch ich hatten lange braune Haare. Außer uns beiden hatte in letzter Zeit niemand den Computer benutzt.
Ich holte ein Plastiktütchen und steckte das Haar hinein. Dann ging ich die Disketten durch. Es waren noch alle da. Vielleicht war Lenas Paranoia ansteckend.
Mir fielen die beiden Männer ein, die im Auto gesessen hatten. Von meinem Wohnzimmerfenster aus konnte ich die Straße überblicken. Die silberne Limousine war weg. Dummerweise hatte ich nur auf das Ortskennzeichen geschaut: ST für den Landkreis Steinfurt. Warum hatte ich mir nicht das ganze Kennzeichen gemerkt? Anscheinend wurde ich zu langsam für meinen Job.
»Sie war bei dir?«, fauchte Stürzenbecher. »Sie war den ganzen Tag bei dir und du hast mir kein Wort davon gesagt?«
»Ich bin meinem Auftraggeber verpflichtet«, verteidigte ich mich. »Dafür werde ich bezahlt.«
Der Hauptkommissar setzte sich breitbeinig auf seinen Sessel. »Nochmal langsam, damit ich es verstehe: Lena Gessner kommt zu dir und behauptet, ihr Freund sei ermordet worden. Du fragst mich, ob an der Behauptung etwas dran sein könnte, was ich für unwahrscheinlich halte. Am nächsten Morgen verlässt Lena Gessner deine Wohnung und steigt wenige Stunden später in einen blauen Kombi. So weit richtig?«
»Ja«, sagte ich. Die beiden Männer, die vor meinem Haus im Auto gesessen hatten, und das Haar auf meiner Diskettenbox erwähnte ich lieber nicht. Stürzenbecher würde mich vermutlich für verrückt erklären.
»Und wo ist das Problem?«, fragte er.
»Der blaue Kombi. Wem gehört der Kombi und warum ist sie mitgefahren? Könnte der Kombi etwas mit ...«, ich wählte meine Worte sorgsam, »... dem Tod ihres Freundes Simon zu tun haben?«
»Dem angeblichen Mord«, versetzte er bissig.
»Wenn du so willst.«
»Kanntest du den Jungen?«
»Nicht wirklich.«
»Simon Konrad.« Er schlug die Akte auf. »Dreiundzwanzig Jahre alt, die Eltern früh geschieden. Er blieb mit seinen Geschwistern bei der Mutter, die häufig ihre Freunde wechselte. Problematischer Familienhintergrund, kein Schulabschluss, dafür ab vierzehn eine stetig wachsende Zahl von kleineren Delikten: Eigentumsdelikte, Körperverletzung, Verstöße gegen das Drogengesetz. Das geborene Opfer, das zum Täter wird. Sein Ende ist alles andere als ungewöhnlich.«
»Die beiden hatten Geld«, sagte ich.
»Aha.« Er kniff die Augen zusammen. »Endlich kommst du mit der Wahrheit heraus. Wie viel?«
»Zehntausend Euro.«
»Aus einem Einbruch, Diebstahl?«
»Von Lenas Vater.«
»Moment mal!« Stürzenbecher japste. »Der Vater spendiert der entlaufenen Tochter mal eben zehntausend Euro?«
»Ich darf dir nicht alle Einzelheiten verraten.«
»Und das Geld ist weg?«
»Nach Simons Tod war es noch da.«
Er sandte einen verzweifelten Blick zur Decke. »Vielleicht verrätst du mir, worauf du hinauswillst?«
»Das weiß ich ja selbst nicht«, gab ich zu. »Ich mache mir schlichtweg Sorgen um Lena. Kannst du nicht nach ihr fahnden lassen?«
»Mit welcher Begründung?«
»Wird sie nicht als Zeugin gesucht?«
»Na schön.« Stürzenbecher nickte. »Ich werde eine Fahndung herausgeben.«
»Danke.«
»Und, Wilsberg!«
»Ja?«
»Solltest du mir etwas Wesentliches verheimlichen, werde ich deinen Arsch auf kleiner Flamme grillen.«
»Das bin ich doch von dir gewohnt.«
Auf dem Rückweg hielt ich beim Supermarkt an und kaufte meine Wochenration an Tiefkühlpizzen und Fertiggerichten. Dann setzte ich mich ins Büro und wartete auf Anrufe von Lena, der Malerin oder Stürzenbecher. Da mich das Warten nicht ausfüllte, schrieb ich alles auf, was ich über Lena und den vermeintlichen Mord wusste. Manchmal hilft das, Lücken zu entdecken. In diesem Fall waren die Lücken größer als die gesicherten Informationen.
Bis zum Abend erfolgte kein Anruf. Ich war frustriert. Selbstzweifel nagten an mir. Um mich zu beschäftigen, aß ich eine Pizza. Als ich gerade den Teller in die Spülmaschine stellte, läutete die Türglocke.
Ich drückte auf den Türöffner und hoffte, dass Lena heraufkommen würde. Fast gleichzeitig klopfte es an meiner Wohnungstür. Meine Hand lag schon auf der Türklinke, als ich durch das Guckloch sah, dass im Hausflur kein Licht brannte. Wenn man am Abend jemanden besucht, tastet man sich normalerweise nicht im Dunkeln die Treppe hinauf. Wieso hatte die Person, die vor meiner Tür stand, genau das getan?
»Wer ist
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