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Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten

Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten

Titel: Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers & Jill Paton Walsh
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weit. Vielleicht fahren Züge, vielleicht kann jemand ein Flugzeug bekommen, aber es kann gut die ganze Nacht dauern.»
    Erst kurz nachdem er weg war, wurde ihr mit klopfendem Herzen klar, wie schnell Peter fahren würde.

    Bevor der Wirt schlafen ging, legte er noch Holz nach. Er servierte ihnen zwei Becher Kakao und brachte Decken für sie.
    Quarley legte eine Zeit lang Patiencen. Harriet las in einem Band unbeschreiblich abgedroschener Gespenstergeschichten aus dem kargen Angebot an Büchern im Regal. Es war, so viel stand fest, eine peinigende Angelegenheit, bei dem Mann zu sitzen. Er litt seelische Höllenqualen und ein unverfängliches Gesprächsthema schien es nicht zu geben. Von Zeit zu Zeit warf er die Karten hin, erhob sich und lief im Zimmer auf und ab wie eine Großkatze im Zoo. Irgendwann um Mitternacht wurde Harriet die unerträgliche Spannung im Zimmer zu viel. «Wieso hatten Sie ein Messer dabei?», fragte sie ihn. «Tragen Piloten immer ein Messer bei sich? Gehört das zur Ausrüstung?»
    «Offiziell nicht.» Er war offenbar auch froh, reden zu können. «Aber die meisten von uns haben eins. Manchmal ist es schwierig, sich von einem Fallschirm zu befreien. Auf dem Boden können Sie einfach die Schnalle lösen, aber wenn Sie irgendwo festhängen – Sie haben sich in einem Baum verfangen oder etwas in der Art –, dann ist es ganz prak tisch, dass man sich losschneiden kann. Am gefährlichsten ist es, wenn Sie im Wasser landen. Die Fallschirme laufen voll und ziehen Sie in Sekundenschnelle runter. Darum tragen viele von uns Messer bei sich. Ich hatte es nicht extra mitgenommen, falls Sie das denken. Ganz und gar nicht.»
    «Es könnte wichtig sein, dass andere das verstehen. Natürlich ist es nur eine Kleinigkeit, aber …» «Ich verstehe schon den Unterschied. Wenn ich bewusst ein Messer eingesteckt hätte, sähe es noch übler aus für mich, nicht wahr? Nach Vorsatz? Es war nichts Vorsätzliches daran, Lady Peter, ehrlich nicht.» «Ich glaube Ihnen», sagte Harriet.
    «Ich würde jetzt gern versuchen, etwas zu schlafen. Morgen scheint ein schlimmer Tag zu werden, egal, wie es ausgeht.»
    «Sicher. Ich mache auch die Augen ein bisschen zu. Sie werden mir doch nicht weglaufen, oder?» «Nie im Leben.» Er lächelte sie unvermittelt an, dann machte er es sich auf dem schäbigeren der beiden Sofas bequem, schlug eine Kuhle in ein Kissen, steckte es sich unter den Kopf und war auf der Stelle eingeschlafen.
    Harriet nahm die andere Couch in Beschlag, legte sich eine der Decken über die Knie und ließ den Blick auf dem gegenüber ausgestreckt daliegenden Mann ruhen. Sie war verblüfft, dass er in einer solchen Situation schlafen konnte, aber an seinem tiefen Schlummer war nicht zu zweifeln. Das Feuer brannte zu einem glühenden Haufen Asche herunter, und Harriet erhob sich, um noch ein Scheit aufzulegen, und stolperte dabei. Ein Hocker fiel polternd um, der Schlafende jedoch rührte sich nicht. Sie überlegte, wie alt er wohl sein mochte – er konnte leicht jünger als Jerry sein. Dieses glatte Gesicht wirkte allerdings weder jung noch alt, als hätten die Belastungen des Lebens tagsüber die frischen, ausdruckslosen Züge des sehr jungen Mannes ausgelöscht und ihm Reife verliehen, selbst im Schlaf. Oder vielleicht gerade im Schlaf, denn sie konnte sich nicht erinnern, dass er ihr wach älter erschienen war, als es seinen Jahren entsprach. Sie hatte den starken Impuls, ihn zu beschützen – wer noch so jung war, sollte nicht vor solche Probleme gestellt werden, sollte nicht sein Leben und das seiner Kameraden aufs Spiel setzen müssen, sollte niemanden umgebracht haben und nicht auf der Flucht sein. Frieden, so dachte sie, bedeutete doch, dass die Menschen alle Zeit hatten, die sie brauchten, sie selbst zu werden: wie Pflanzen, die genügend Licht bekamen, ohne sich in einem Gewächshaus verrenken zu müssen und ständigem Druck ausgesetzt zu sein. Dann kam ihr der Schweineschuppen wieder in den Sinn, und ein Schauder überlief sie. Was war nur mit ihrem Urteilsvermögen los? Sie müsste diesem Knaben doch nichts als Schrecken und Abscheu entgegenbringen! Und es gab auch noch ein Rätsel zu lösen: Wen hatte er denn umgebracht? Hatte Peter Recht, wenn er sagte, für ihn sei es sein Freund gewesen? Oder war es doch der Feind? Sie musste es dringend mit Peter besprechen, aber jetzt brachte er schon alles auf den Weg, und sie war auch so entsetzlich müde. Ganz plötzlich wachte sie im ausgekühlten

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