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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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eingesetzt, stechend und brennend fuhr er tief durch ihr Fleisch und brachte sie zum Stöhnen. Das Blut lief wieder in Strömen heraus und benetzte Brust und Leib. Sie merkte, dass ihr die Sinne zu schwinden drohten, und wünschte sich die Ohnmacht herbei, damit sie das Sterben nicht mehr mit ansehen musste. Doch so gnädig waren die Götter nicht.
    Die Weißen hatten das Haupthaus in Brand gesteckt, die Frauen und Kinder kamen schreiend herausgerannt, mitten in das Kampfgetümmel, dem sie nicht ausweichen konnten, weil es überall war. Die jungen Krieger, die sie hatten bewachen sollen, fielen einer nach dem anderen. Zena sah die Weißen wüten und Leben nehmen, es gab keine Gnade. Einer von ihnen schwang sein Schwert wie besessen. Er schlitzte einer schwangeren Frau den Leib auf, dann fuhr er herum und schlug einem Kind den Kopf ab. Als er sich erneut umdrehte und nach weiteren Opfern Ausschau hielt, sah Zena seine Augen aus dem blutbespritzten Gesicht leuchten, beseelt vom Geist des Bösen. Es war der Kommandant.
    Erschöpft und ausgelaugt erreichten Elizabeth und die anderen schließlich die Ansiedlung in der Bucht. Miss Jane brach in Tränen aus, als sie erfuhr, was geschehen war. Ihr Entsetzen über Deirdres Zustand verwandelte sich jedoch auf der Stelle in mütterliche Fürsorge. Sie bereitete ein Bad zu und wusch Deirdre von Kopf bis Fuß mit ihrer besten Seife. Anschließend steckte sie das Mädchen in saubere Kleidung und nötigte sie auch, etwas zu essen. Deirdre ließ alles über sich ergehen. Die meiste Zeit verhielt sie sich teilnahmslos, als ginge sie das alles nichts an, aber zwischendurch fing sie immer wieder an zu weinen und zu zittern.
    Johnny, der bei ihrer Ankunft geschlafen hatte, war aufgewacht und hockte eingeschüchtert auf der Veranda. Elizabeth hatte ihm befohlen, still sitzen zu bleiben. Ganz entgegen seinem sonst so ungebärdigen Naturell schien der Kleine den Ernst der Lage zu begreifen und blieb gehorsam auf Miss Janes großem Lehnstuhl sitzen. Nur einmal fragte er nach Sid, und als Elizabeth ihm sagte, dass Sid zu einer langen Reise aufgebrochen sei, fing auch er an zu weinen. Darauf erbarmte Jerry sich seiner und spielte mit ihm. Er und Oleg hatten ihre Sachen bereits gepackt und die Schaluppe mit Vorräten und Trinkwasser beladen. Auch Elizabeth und Deirdre waren bereit zum Aufbruch. Elizabeth hatte das Baby gestillt, in der Hoffnung, dass sie bald wieder mehr Milch haben würde. Miss Jane hatte der Kleinen während ihrer Abwesenheit etwas verdünnte Ziegenmilch gegeben und gemeint, damit könne man die Zeit überbrücken, bis der Milchfluss wieder stärker in Gang kam oder eine neue Amme zur Verfügung stand. Sie war untröstlich, als Elizabeth ihr eröffnet hatte, dass sie und die Kinder fortmussten, doch als es ans Packen ging, zögerte sie nicht, tatkräftig mitzuhelfen.
    » Ihr werdet mir fehlen, Mylady « , sagte sie. » Und die Kinder erst! Vergesst ja nicht, mir zu schreiben, hört Ihr? «
    » Ich versprech’s « , erwiderte Elizabeth.
    Schließlich war es so weit. Der Himmel färbte sich bereits rot, als Elizabeth mit Deirdre und den Kindern nach einem tränenreichen Abschied von Miss Jane an Bord der Schaluppe ging. Unter den neugierigen Blicken der wenigen Anwohner stachen sie in See. Miss Jane stand am Anleger und winkte ihnen nach, bis ihre Gestalt zu einem winzigen Punkt in der dunkler werdenden Ferne zusammengeschrumpft war.

22
    D er September war mit Regen und peitschendem Wind gekommen. Es war kühl und grau, und in den Gassen vermischte sich der Nebel mit dem Rauch von den Kaminfeuern. Vom Krieg merkte man nicht viel in der Stadt, die Leute gingen wie üblich ihrer Arbeit und ihren Geschäften nach. Nur auf den Werften gab es mehr zu tun als sonst, denn die Seeschlachten forderten ihren Tribut, die Docks waren voll von beschädigten und havarierten Schiffen. Guy Hawkins hatte vor einigen Tagen eine Nachricht nach London gesandt, der Duncan entnommen hatte, dass das Geschäft im Schiffsbau derzeit besser lief denn je, ein Umstand, der Duncan beruhigte. Das Wissen, dass das großväterliche Erbe ihm bei der Verwirklichung seiner Zukunftspläne weiterhin nützlich war, verschaffte ihm ein Gefühl von Sicherheit. Davon konnte er nach Lage der Dinge gar nicht genug brauchen. Es hatte Wochen gedauert, bis er sich wieder halbwegs aufgerappelt hatte. Allein der Kraftakt, den es ihn gekostet hatte, schwindelfrei von einer Ecke des Zimmers in die andere zu gehen– er war

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