Wind des Südens
üblichen Zeit, aber wundern Sie sich nicht, wenn Sie sehen, was für üppige Mahlzeiten da serviert werden. Sie essen Steak, Eier, Speck, Leber mit Brot und Butter und Soße zum Frühstück. Die Mittagsmahlzeit nennen sie Dinner! Ich verstehe nicht, wie man in der Mittagshitze drei, vier Gänge verdrücken kann. Um sechs Uhr abends ist Teezeit.«
»Reichlich spät, wie?«
»Aber nein. Es ist ja noch nicht das Abendessen. Suppe, kalter Imbiss, würzige Gerichte und Dessert.«
»Tatsächlich? Also keinen Tee?«
»Doch. Das nennt man aber Nachmittagstee, mit Tee und Kuchen. Aber es gibt auch noch den Morgentee vor dem Frühstück.« Sie fing an zu lachen. »Dann den Morgentee nach dem Frühstück, und nach dem Abendtee das Abendessen. Obwohl die Nächte hier auch sehr heiß sind, zeigt man eine große Vorliebe für heiße Schokolade.«
»Wie merkwürdig! Aber wahrscheinlich ist hier vieles anders. Das alles finde ich höchst interessant.«
Frau Kassel sah mit Erleichterung, dass diese Dame sich bereitwillig auf den fremdartigen Tagesablauf einlassen würde. Manche Ausländer – Frau Kassel, die seit zwei Jahren in Queensland lebte, betrachtete sich selbst nicht als Ausländerin – regten sich gehörig über solch merkwürdige Regelungen auf.
Mrs. Plummer hatte nichts dagegen, sich anzupassen. Sie trug ein adrettes marineblaues Kostüm und einen mit Seide abgesetzten marineblauen Hut, als sie kurz nach sechs zum Abendessen die Treppe herunterkam und dem kleinen Speisezimmer zustrebte. Frau Kassel eilte ihr entgegen, um sie zu begrüßen, und führte sie geradewegs zu dem Tisch, an dem Lyle Horwood und Mr. Lewis Platz genommen hatten.
Die beiden Männer erhoben sich, Lyle eindeutig nicht begeistert von ihrer Gegenwart.
»Wie nett von Ihnen, dass Sie sich zu uns gesellen«, sagte Mr. Lewis.
»Verdammt ungewöhnliche Zeit fürs Dinner«, knurrte Lyle.
Während der nächsten Tage gab es viel zu tun. Sämtliche Passagiere der China Belle machten ihre Aussage bei der Polizei; ständig fanden Treffen und Diskussionen wegen Mrs. Horwood statt, zum Gedenken an Bootsmann Flesser wurde ein Gottesdienst abgehalten. Als dieser zu Ende war, nahm Mrs. Caporn Eleanor beiseite.
»Ob Sie mir wohl einen großen Gefallen tun würden? Mein Haar muss gerichtet werden, es sieht scheußlich aus, aber hier gibt es keinen Friseur. Nachdem diese Rüpel es so verhunzt haben, lasse ich mich bestimmt nicht von irgendeinem Buschfriseur verunstalten. Ob Sie mir die Haare wohl schneiden könnten?«
»Meine Liebe, ich will es gern versuchen. Kommen Sie doch mit in mein Hotelzimmer. Dann werden wir sehen, was sich ausrichten lässt.«
Neville Caporn begleitete sie zurück in die Stadt und sprach unentwegt über ihren beabsichtigten Aufenthalt auf der Zuckerrohrplantage.
»Das Schicksal hat uns an diese Küste geführt. Wir waren auf dem Weg nach Brisbane, doch jetzt erfahren wir, dass diese Gegend hier, die viel weiter im Norden liegt, sich bedeutend besser für den Anbau von Zuckerrohr eignet, und das war ja von vornherein unsere Absicht. Daher ist es, nach allem, was wir durchgemacht haben, ein Glückstreffer für uns, auf einer Plantage wohnen und den Betrieb aus erster Hand kennen lernen zu können, bevor wir Geld in ein solches Unternehmen investieren.«
»Ich freue mich für Sie. Nach diesem grauenhaften Erlebnis haben Sie wirklich etwas Glück verdient.«
Eleanor wandte sich wieder Mrs. Caporn zu. »Fühlen Sie sich inzwischen schon ein wenig besser? Es waren schreckliche Stunden für Sie.«
»O ja, danke, mir geht es viel besser.«
»Esme hält sich großartig«, sagte Neville. »Sie erträgt das alles spielend.«
»Das sehe ich wohl. Ich finde, Sie sind ausgesprochen tapfer.«
Eleanor schnitt Mrs. Caporns Haar so gut sie konnte. Sie gab sich Mühe, nicht zu viel abzuschneiden, und genoss es, mit Esme zu plaudern. Im Gegensatz zu ihrem ersten Eindruck, als sie noch an Bord waren, fand Eleanor die Frau doch recht nett.
»Manche von diesen englischen Schauspielerinnen tragen ihr Haar kurz geschnitten und vorn gelockt«, erklärte sie, »und
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