Wind (German Edition)
an die Schmiede schräg gegenüber. Der Schmied, dessen ledernes Schurzfell in den Böen flatterte, obgleich es mit Werkzeug beschwert war, stand in der Tür. Als ich über die Straße kam, legte er eine Faust an die Stirn. »Heil.«
Ich erwiderte seinen Gruß und erklärte ihm, was ich benötigte. Er hörte aufmerksam zu, dann griff er nach der Patrone, die ich ihm hinhielt. Es war die, mit der ich Young Bill in Trance versetzt hatte. Der Schmied hielt sie hoch. »Wie viele Gran Pulver enthält sie, wisst Ihr das?«
Natürlich wusste ich das. »Siebenundfünfzig.«
»So viel? Götter! Ein Wunder, dass Euer Revolverlauf nicht platzt, wenn Ihr abdrückt!«
Die Patronen der Revolver meines Vaters – die ich vielleicht eines Tages tragen würde – enthielten sechsundsiebzig Gran, aber das erzählte ich ihm nicht. Er hätte es vermutlich nicht geglaubt. »Könnt Ihr das anfertigen, was ich brauche, Sai?«
»Ich glaub schon.« Er überlegte kurz, dann nickte er. »Aye. Aber heute wird das nichts mehr. Ich hab eine Menge Arbeit und mag bei einem solchen Sturm nicht an der heißen Esse stehen. Ein wegstiebender Funke würde zudem genügen, die ganze Stadt in Brand zu setzen. Als mein Da’ ein kleiner Junge war, hatten wir noch eine Feuerwehr, aber seitdem nicht mehr.«
Ich zog den Beutel mit meinen Goldstücken heraus und schüttelte zwei davon in meine Handfläche. Ich überlegte, dann fügte ich ein drittes hinzu. Der Schmied starrte sie fast ehrfürchtig an. Dort lag ein Jahreslohn, vielleicht sogar zwei.
»Es muss heute sein«, sagte ich.
Er grinste und ließ dabei erstaunlich weiße Zähne im Gestrüpp seines rötlichen Vollbarts sehen. »Teuflischer Verführer, hebt Euch ja nicht hinweg! Für das, was Ihr mir zeigt, würd ich sogar riskieren, ganz Gilead niederzubrennen. Ihr bekommt es bis Sonnenuntergang.«
»Ich brauche es bis drei.«
»Aye, drei hab ich gemeint. Und zwar auf die Minute pünktlich.«
»Gut. Jetzt sagt mir noch, in welchem Gasthaus hier am besten gekocht wird.«
»Nun, es gibt zwei, und keines davon wird Euch den Geflügelauflauf Eurer Mutter vergessen lassen, aber sie werden Euch auch nicht vergiften. Racey’s Café ist vermutlich das bessere von beiden.«
Das genügte mir; ich vermutete, dass ein noch im Wachstum begriffener Junge wie Bill Streeter Quantität jederzeit über Qualität stellte. Ich machte mich auf den Weg zu dem Gasthaus, wobei ich diesmal gegen den Wind ankämpfen musste. Bis zum Abend bricht ein voller Wüstensturm los, hatte der Junge mir erklärt, und ich hatte das Gefühl, er würde recht behalten. Er hatte viel durchgemacht und brauchte Zeit, sich auszuruhen. Nachdem ich nun wusste, dass es eine Tätowierung gab, würde ich ihn vielleicht gar nicht mehr brauchen … Aber das würde der Fellmann nicht wissen. Und im Gefängnis war Young Bill sicher. Zumindest hoffte ich das.
Es gab Eintopf, und ich hätte schwören können, dass man ihn mit Alkalikörnern statt mit Salz gewürzt hatte, aber der Junge aß seinen Teller leer und verschlang auch noch den Rest von meinem, den ich nicht ganz aufgegessen hatte. Einer der nicht so guten Hilfssheriffs hatte Kaffee gekocht, den wir aus Blechbechern tranken. Unsere Mahlzeit nahmen wir gleich in der Zelle ein, wo wir im Schneidersitz auf dem Boden saßen. Ich horchte auf das Klingeling, aber es läutete nicht. Was mich nicht überraschte. Selbst wenn Jamie und der Hohe Sheriff dort draußen in die Nähe eines Klingelings kamen – der Sturm hatte inzwischen vermutlich einige Masten umgeweht und die Leitung unterbrochen.
»Du kennst diese Stürme, die du Wüstenstürme nennst?«, fragte ich Young Bill.
»O ja«, sagte er. »In der jetzigen Jahreszeit kommen die häufig vor. Die Handlanger hassen sie, und die Pokies hassen sie noch mehr, weil sie dann draußen auf der Range unter freiem Himmel schlafen müssen. Und sie dürfen natürlich kein Feuer machen, sonst …«
»Wegen den glühenden Funken«, sagte ich, wobei ich an den Schmied denken musste.
»Ganz recht. Der Eintopf ist alle, oder?«
»Ja, leider, aber ich hätte da noch was.«
Ich gab ihm eine kleine Tüte. Er sah hinein und strahlte übers ganze Gesicht. »Süßigkeiten! Zuckerschnecken und Schokofinger!« Er hielt mir den Beutel hin. »Hier, Ihr zuerst!«
Ich nahm mir einen der kleinen Schokofinger, dann schob ich sanft seine Hand weg. »Der Rest ist für dich. Das heißt, wenn du dir damit nicht den Magen verdirbst.«
»Bestimmt nicht!« Er machte
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