Windbruch
auch mein Bett haben. Dann schlafe ich eben ...“
„Sag mal, bist du gaga? Ich hatte
mich so auf eine kuschelige Nacht mit dir gefreut und du schickst mich weg!?“
„Ich ... wusste ja nicht. Ich
dachte, nach den Erfahrungen der letzten Tage möchtest du vielleicht erstmal
...“
„Einen Mann, der mich wirklich
liebt, ja“, hauchte sie beruhigt und presste ihre vollen Lippen für lange
Sekunden sanft auf die seinen.
„Na, wenn du mich so lieb
bittest“, sagte er heiser, „das kannst du haben.“ Dann hob er sie hoch und trug
sie ins Schlafzimmer.
74
Inka Henzler starb am 19.
Dezember. Draußen vor ihrem Fenster trieb ein starker Wind große Schneeflocken
vor sich her, aber sie sah sie nicht mehr. Sie hatte es immer geliebt, wenn es
schneite, und die weiße Pracht die Welt um sie herum in einen schützenden Mantel
hüllte. Denn dann hatte auch sie sich geborgen gefühlt.
Ihre alte Nachbarin, Anneliese
Möhlenkamp, stand wie versteinert vor der Badezimmertür in Inkas Wohnung, als
die Polizei eintraf.
„Sie haben die Leiche gefunden?“,
fragte Hauptkommissar Büttner, aber die alte Dame reagierte nicht. „Kümmern Sie
sich bitte um sie“, bat er eine junge Kollegin, und die führte sie ins
Wohnzimmer.
Mit gerunzelter Stirn sah sich
Büttner im Badezimmer um, während ihm Katze Kleopatra miauend um die Beine
strich. Inka lag in einem roten, spitzenbesetzten Negligé in ihrer Badewanne.
Der bleiche Kopf ragte aus dem Wasser und war zur Seite gefallen. Ihre Augen
waren geschlossen, und auf den ersten Blick sah es so aus, als schliefe sie.
Wenn da nicht überall das Blut gewesen wäre, das aus ihren Handgelenken ins
Wasser und auf den Fußboden gespritzt war und dort zwischen den Fliesen bizarre
Muster zeichnete.
„Die arme Frau“, sagte Büttner
ungewohnt leise, „anscheinend war das alles zu viel für sie.“
„Aber“, warf Sebastian Hasenkrug
ein, „ich verstehe das nicht. Sie hatte doch so gute Heilungsfortschritte
gemacht. Außerdem machte sie einen recht munteren Eindruck, als sie vor zwei
Tagen aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Na ja, den Umständen entsprechend.“
„Eben. Den Umständen entsprechend.
Überlegen Sie mal, Hasenkrug: Sie gehen tagelang durch die Hölle und kommen
dann in diese leere Wohnung zurück. Keiner kümmert sich um Sie. Den möchte ich
sehen, der da nicht depressiv wird.“
„Sie gehen also von Selbstmord
aus.“
„Sieht ganz danach aus.“
„Hier liegt ein Abschiedsbrief!“,
rief in diesem Moment ein Polizist aus dem Schlafzimmer.
„Bringen Sie ihn bitte her!“,
rief Büttner zurück, sah Hasenkrug bedeutungsvoll an und setzte sich auf eine
blau gestrichene Holzbank im Flur.
Der Polizist
drückte ihm den Zettel in die Hand. Er war in einer sauberen, wenn auch etwas
zittrigen Handschrift verfasst. Büttner las:
Ich kann es nicht mehr
ertragen, kann mit meiner Schuld nicht mehr leben. Ich bin mitschuldig am Tod
von so vielen Kollegen, die auf der Plattform ums Leben gekommen sind. Ich habe
den kleinen Tilman Langhoff entführt. Aber das ist noch nicht alles. Ich war es
auch, die Steffen Rautschek umgebracht hat, gemeinsam mit meinem Komplizen
Georg Hufschmidt. Rautschek wollte zur Polizei gehen und uns wegen der
illegalen Verklappung von Giftmüll anzeigen. Ich bin in Panik geraten und habe
ihn erstochen. Mein schlechtes Gewissen hat mir keine Ruhe gelassen, und ich
habe Hufschmidt gesagt, dass ich alles gestehen werde. Daraufhin hat er mir
sein Messer in den Bauch gerammt und mich bei sich eingesperrt.
Ich kann für meine Taten nicht
auf Vergebung hoffen. Doch mit meinem Freitod hoffe ich, sie wenigstens zum
Teil gesühnt zu haben.
Inka
Henzler
„Nun“, sagte Hasenkrug betreten,
„damit dürfte ja alles klar sein.“
„Sieht zumindest so aus“, brummte
Büttner und starrte an die gegenüberliegende Wand. „Was macht eigentlich dieser
Hufschmidt?“, fragte er dann.
„Der ist gestern aus dem
Krankenhaus entlassen und in die Psychiatrie überführt worden.“ Er schaute seinen
Chef fragend an. „Sie haben Zweifel am Freitod von Frau Henzler“, stellte er
nüchtern fest.
„Ich weiß es nicht. Wir lassen
sie jetzt in die Gerichtsmedizin bringen, und dann sehen wir mal weiter. Und
Sie, Hasenkrug, bestellen mir bitte Maarten Sieverts und Tomke Coordes ins
Präsidium.“
„Ähm ... darf ich fragen, warum,
Chef?“
„Nein. Dürfen Sie nicht. Tun
Sie’s einfach. Aber vorher bringen Sie noch den Abschiedsbrief zur KTU. Die
sollen ihn
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