Winter der Zärtlichkeit
erwiderte Travis knapp. „Mir auch.“
Er ging zur Tür.
„Wollen Sie mit uns essen?“, fragte Sierra.
„Ein andermal“, antwortete er und war auch schon verschwunden.
1919
Die Sonne ging schon fast unter, als Doss und Tobias von den Jessups zurückkehrten. Zu dem Zeitpunkt war Hannah bereits außer sich vor Wut. Nachdem es wieder zu schneien begonnen hatte, war sie den Großteil des Nachmittags auf und ab gegangen und hatte sich vorgestellt, was den beiden auf ihrem langen Weg alles passieren konnte.
Das Pferd oder das Maultier hätten lahmen oder beim Überqueren des Flusses ins Eis einbrechen können.
Es hätte eine Lawine abgehen können. Erst letztes Jahr war eine ganze Familie in ihrem Haus unter einer Lawine von der Größe eines Bergs begraben worden.
Draußen trieben sich halb verhungerte Wölfe herum, die Vieh anfielen und manchmal sogar Menschen.
Doss hatte nicht einmal sein Gewehr mitgenommen.
Als Hannah die Pferde hörte, lief sie zum Fenster und wischte mit dem Saum ihrer Schürze die Eisblumen vom Fenster. Sie sah die beiden absteigen und die Tiere in den Stall führen.
Während sie gewartet hatte, hatte sie Kuchen gebacken, um nicht den Verstand zu verlieren. Die ganze Küche duftete herrlich. Sie strich ihre Röcke glatt, tastete nach ihrem Haar und drehte sich vom Fenster weg, weil sie nicht erwischt werden wollte, wie sie auf den Hof schaute.
Fast eine Stunde verging, bevor die zwei hereinkamen. Sie hatten noch die Stallarbeit erledigt, und Hannah hatte den Tisch gedeckt, die Lampen angezündet und Kaffee gekocht. Am liebsten hätte sie Tobias’ Ohren und Finger nach Frostbeulen untersucht und seine Stirn nach Fieber abgetastet, doch sie zwang sich, nichts dergleichen zu tun.
Doss ließ sich von ihrer aufgesetzten Zurückhaltung nicht irreführen, das merkte sie. Aber Tobias wirkte grenzenlos erleichtert, als ob er befürchtet hätte, dass sie sich wie eine Wilde auf ihn stürzen würde.
„Wie habt ihr denn die Witwe Jessup angetroffen?“, fragte sie.
„Exakt da, wo sie auch das letzte Mal war“, antwortete Doss mit einem leichten Grinsen.
Hannah warf ihm einen Blick zu.
„Ihr war gerade das Feuerholz ausgegangen“, erklärte Tobias, der sich gerade aus seiner Kleidung schälte, Schicht für Schicht, bis er nur noch Hosen und Pullover anhatte. Eine kleine Wasserlache bildete sich um seine Füße. „Zum Glück sind wir zu ihr hinuntergeritten. Sie wäre sonst sicher erfroren.“
„Ganz sicher“, bestätigte Doss. „Sie hat Tobias bei den Ohren gepackt und ihn überall im Gesicht geküsst, so glücklich war sie, dass er sie gerettet hat.“
Darauf gab Tobias ein entsetztes Keuchen von sich und versuchte, Doss einen Haken zu verpassen, der problemlos auswich.
„Hört auf zu raufen und wascht euch die Hände“, befahl Hannah, aber es tat gut, die beiden so zu sehen. Früher hatte Gabe sich Tobias immer wie einen Sack Getreide über die Schulter geworfen, und der Junge hatte gebrüllt vor Lachen und mit seinen kleinen Fäusten gegen Gabes Brustkorb getrommelt, als ob er sich wehren wollte. Es waren diese einfachen Dinge, die sie mehr als alles andere vermisste, abgesehen von seinen Umarmungen.
Sie hatte ihr bestes Porzellangeschirr herausgeholt und servierte nun Huhn mit Knödeln und Apfelkuchen als Nachtisch.
Nach dem langen Ausritt und den vielen Stunden an der frischen Luft aß Tobias mit großem Appetit und schlief anschließend fast auf seinem Stuhl ein.
Doss stand auf, hob ihn hoch und trug ihn Richtung Treppe.
Als sie den beiden hinterhersah, schnürte sich Hannahs Kehle zusammen.
Um sich abzulenken, schenkte sie Doss eine zweite Tasse Kaffee ein, die auf ihn wartete, als er ein paar Minuten später wieder zurückkam.
„Hast du ihm sein Nachthemd angezogen und ihn mit der Extradecke zugedeckt?“, fragte sie. „Er darf sich nicht erkälten
„Ich habe ihm die Schuhe ausgezogen und so ins Bett geworfen, wie er war“, unterbrach Doss sie. „Ich habe dafür gesorgt, dass er es warm hat, also hör auf, dich verrückt zu machen.“
Nachdem Hannah das Geschirr zum Einweichen in eine Schüssel mit warmem Wasser gestellt hatte, saß sie unschlüssig am Tisch und nippte an dem Tee aus Loreleis Kanne.
„Ich habe mit Tobias über unsere Hochzeit gesprochen“, verkündete Doss auf einmal unverblümt. „Er ist einverstanden.“
Hitze legte sich auf Hannahs Wangen, hervorgerufen durch eine Mischung aus Empörung und einem ganz anderen Gefühl, das
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