Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
zudem gezwungen hatten, jenen gut zwanzig Schülern eine zweite Chance einzuräumen, die wegen mangelhafter Noten in Geschichte oder Gegenwartskunde das Abitur nicht bestanden hatten, legte Zeddies noch im selben Jahr gemeinsam mit diesen das Abitur ab.
Im Übrigen hatte sich Uwe Johnson damals, obwohl selber noch Mitglied der FDJ und kritisch gegenüber der Kirche eingestellt, auf einer »Protestversammlung« der Philosophischen Fakultät in Rostock geweigert, die Junge Gemeinde in Güstrow als staatsfeindlich zu verurteilen und gegen einzelne Mitglieder Anschuldigungen zu erheben, die zu einem Prozess hätten führen können. Die Kampagne gegen die Junge Gemeinde, so Johnson, widerspreche dem in der DDR-Verfassung garantierten Recht auf Meinungs-und Religionsfreiheit. Daraufhin war er exmatrikuliert worden. Die Rostocker Universität hatte die Exmatrikulation im Rahmen des »Neuen Kurses« zwar zurückgenommen, doch Johnson war demonstrativ aus der FDJ ausgetreten und zur Universität nach Leipzig gewechselt.
Der »Neue Kurs« der Partei verschaffte nur eine kurze Atempause. Bald wurde verschärft für die Jugendweihe geworben. Die Amtsträger der Kirche vertraten zunächst noch mehrheitlich die Überzeugung, dass es kein Nebeneinander von christlicher und sozialistischer Erziehung, von Mitgliedschaft in der Jungen Gemeinde und in sozialistischen Organisationen geben könne. Was später üblich wurde, nämlich erst die Jugendweihe zu feiern, die der Staat gezielt in jene Zeit gelegt hatte, in der traditionell die Konfirmation stattfand, und einige Monate später die verschobene Konfirmation, war für sie damals noch völlig inakzeptabel. Auch mein Onkel Gerhard führte den ebenso mutigen wie
aussichtslosen Kampf gegen die Doppelgleisigkeit: »Ich halte ein solches Ansinnen einfach für sinnwidrig und unwahrhaftig«, sagte er auf einem Gemeindeabend, zu dem er Eltern eingeladen hatte, um für die Konfirmation als bewusster Entscheidung für das ganze Leben zu werben. »Zur Jugendweihe geht, wer Gott leugnet. Zur Konfirmation geht, wer an Gott glaubt, zu ihm betet und ihm gehören will. Und wenn mich einer fragt: Aber die Folgen? So möchte ich antworten: Wenn der Christ seinen Glauben bekennt, muss er auch bereit sein, die Folgen auf sich zu nehmen. Er ist dann auch bereit, um seines Glaubens willen zu leiden.«
Der Theologiestudent, der unsere Gruppe an der Sankt-Jacobi-Gemeinde leitete, verlangte einen ähnlichen Bekennermut. Als er einen siebzehnjährigen Lehrling einmal bei einer Demonstration im Block der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) mitmarschieren sah, über dem Arm ein Kleinkalibergewehr, stellte er ihn vor die Entscheidung: »Wenn du in der GST bleibst, sehe ich dich nicht mehr als Mitglied unserer Jungen Gemeinde.« Der Junge aber wollte beides: In der Jungen Gemeinde bleiben und in der vormilitärischen Organisation mitmachen, die er attraktiv fand, da man nicht nur schießen und exerzieren lernte, sondern auch segeln, Kutter oder Motorrad fahren. Mir wäre lieb gewesen, unser Leiter hätte dem Jugendlichen eine Brücke gebaut. Doch der Lehrling musste gehen. Blieb er an diesem Abend noch bis zum Schluss? War er dabei, als wir alle wie immer aufstanden, einen Kreis bildeten, uns an den Händen fassten und sprachen:
Schließet die Reih’n
Treu lasst uns sein!
Trifft uns auch Spott,
Treu unserm Gott.
Treu unserm Gott. Einen Augenblick lang war es nach diesen Worten immer still, waren wir »anders«, bevor wir wieder waren wie immer, normale Jugendliche, fragend, manchmal ängstlich, manchmal übermütig und laut.
Hanns-Peter, mein Schulkamerad von der ersten bis zur zwölften Klasse, stand auf jeden Fall mit im Kreis. Er wusste schon damals, dass er Pastor werden wollte, und manchmal beneidete ich ihn. Ihm würde es sicher leichter fallen als mir, dem weltlichen Jungen, dem Gelöbnis zu folgen und treu zu sein. Aber ich spürte auch, dass nicht nur jene gerufen waren, die sich ihres Glaubens schon sicher waren.
In einem lange verschlossenen Raum meiner Seele haben sich in jener Zeit ganz bestimmte Worte eingelagert, die unser Leiter immer wieder sprach, weil sie damals die Jahreslosung waren: »Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.« War damit etwa auch ich gemeint?
Eingelagert haben sich auch die Worte aus dem Evangelium: »Von dem an gingen seiner Jünger viele hinter sich und wandelten hinfort
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