Winter Im Sommer - Fruehling Im Herbst
Regierung hatten mehr am Dialog denn an Gewalt orientierte Genossen die Macht übernommen.
Anfang Dezember befand sich die Partei zudem in einer prekären Lage, nachdem etwa dreihundert aufgebrachte Menschen in Kavelstorf unweit von Rostock ein geheimes Waffenlager entdeckt hatten. Es handelte sich um das Hauptlager der IMES, einer Firma des DDR-Außenministeriums, die der »Kommerziellen Koordinierung« (KoKo) unterstand. Fassungslos registrierten die Kavelstorfer achtzig Waggonladungen mit Waffen, Munition und militärischem Gerät. Sie empfanden die SED und die Repräsentanten des »Friedensstaates« nur noch als Heuchler. Das günstig in der Nähe des Rostocker Überseehafens gelegene Werk hatte seit 1982 in den Nahen Osten, nach Afrika und Südamerika geliefert. Der Honecker und Mielke direkt unterstellte Leiter der KoKo,
Stasi-Generalmajor Alexander Schalck-Golodkowski, setzte sich, um der drohenden Verhaftung zu entgehen, nach der Entdeckung des Waffenlagers noch in der Nacht zum 3. Dezember nach Westdeutschland ab.
Für eine Ausstellung über die Tätigkeit der Staatssicherheit wählten wir als Titelfoto eine Protestdemonstration vor der Bezirksverwaltung der Stasi in Rostock. Erst haben wir ihnen nur Zorn und Verachtung gezeigt, am Ende waren ihre Gebäude und Akten in unserer Hand.
Kavelstorf und die Flucht von Schalck-Golodkowski schürten die Empörung weiter. Als der Rundfunk in den frühen Morgenstunden des 4. Dezember noch meldete, die Stasi habe eine Aktion größeren Ausmaßes zur Vernichtung der Akten eingeleitet, wollten wir die weitere Entwicklung nicht mehr stillschweigend abwarten. Wie viele andere in Städten wie Erfurt, Leipzig und Dresden beschlossen auch wir in Rostock, in die Höhle des Löwen einzudringen. Die Stasi sollte endlich ihre Arbeit einstellen und die Aktenvernichtung beenden.
Gegen 16 Uhr postierte sich eine kleine Gruppe vor dem Haupteingang des Stasi-Bezirksgebäudes in der Rostocker August-Bebel-Straße.
Kerzen wurden entzündet. Gegen 16.30 Uhr war die Menge so groß, dass alle Zufahrten zum Gelände gesperrt werden konnten.
Der Leiter des Amtes, Generalleutnant Rudolf Mittag, verweigerte zunächst jeden Kontakt mit Vertretern des Neuen Forums und fand sich allein zu Verhandlungen mit dem Superintendenten Dr. Joachim Wiebering und dem Rechtsanwalt Hans-Joachim Vormelker bereit. Gegen 22 Uhr stießen jedoch zehn Demonstranten zu der Verhandlungsgruppe hinzu, ihnen folgten weitere, die die Stimmung aufheizten: Sie waren in das Stasi-Objekt Waldeck bei Rostock eingedrungen und hatte Spuren der Aktenvernichtung gefunden.
Hatte Mittag seine Vorgesetzten in Berlin zunächst noch über den Ablauf der Ereignisse auf dem Laufenden halten können, so wurde das gegen Mitternacht von den Bürgern unterbunden. Um diese Zeit tauchten auf Druck der Besetzer endlich und widerwillig auch Staatsanwälte aus der Bezirksstaatsanwaltschaft auf, und einer von ihnen sprach den Satz, der zu einer Verwirrung führen sollte. »Ich führe Sie zu!«, erklärte er mit Blick auf Stasi-Chef Mittag und verließ mit ihm das Gebäude. Die Demonstranten hatten die »Zuführung« als Verhaftung verstanden - ein Irrtum, wie sich bald herausstellen sollte. »Zuführer« und »Zugeführter« wurden nämlich beobachtet, wie sie sich vor dem Stasi-Gebäude über die Abfahrt verständigten: »Fahren wir mit deinem Auto oder mit meinem?« Immerhin war der Herr der Burg nun draußen - die Demonstranten waren drinnen.
Der Arzt Ingo Richter hatte sich einen weißen Kittel übergestreift und war schon dabei, sich im Untersuchungstrakt um die Strafgefangenen zu kümmern. Entgegen den Vermutungen handelte es sich bei diesen nicht um politische Gefangene, sondern um Kriminelle. Später erzählte Richter, wie Axel Peters, der eigentliche Initiator der Aktion, ihn zu Hilfe gerufen habe: »Du, Ingo, komm’ mal ein bisschen mit deinem roten Koffer in meine Nähe, du siehst ja, die sind alle noch bewaffnet«, wobei er auf die Wachleute wies. Dann habe sich Peters an sein Gegenüber
gewandt, einen leitenden Offizier: »Können Sie nicht mal die Hand aus der Hosentasche nehmen, wenn Sie mit mir reden?!« Der nahm tatsächlich seine Hand aus der Tasche - und in der Tasche plumpste es. Er hatte seinen Revolver die ganze Zeit in der Hand gehalten.
Nach Mitternacht erschienen etwa dreißig Offiziere der Volkspolizei, die Demonstranten wurden ins Haus gelassen, etwa dreihundert Stasi-Mitarbeiter verließen es in den folgenden
Weitere Kostenlose Bücher