Winter People - Wer die Toten weckt: Wer die Toten weckt (German Edition)
nickte. »Liegt es nicht auf der Hand? James und Alice haben meinen Bruder und seine Frau ermordet, um an die Tagebuchseiten zu kommen. Sie wussten, was sie wert waren, und wollten sie für sich selbst behalten.«
Ruthie schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Meine Eltern sind doch keine Mörder!« Der Gedanke war noch lächerlicher als die Vorstellung, dass im Wald ein Monster hauste.
»Überleg mal, Ruthie. Könnte nicht jeder zum Mörder werden, wenn genug auf dem Spiel steht?« Candace schwieg mehrere Sekunden lang. »Wenn ihr einen Beweis dafür wollt, müsst ihr nicht lange suchen. Hier stehe ich und bedrohe zwei junge Mädchen, von denen eins meine lang verschollene Nichte ist, mit einer Waffe , weil ich die verschollenen Seiten wiederhaben will.«
»Warum sind Sie denn so scharf darauf?«, hakte Ruthie nach. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass dieser Zauber funktioniert?«
Candace lachte. »Nein. Aber es gibt jede Menge andere Leute, die es glauben. Leute, die viel Geld dafür bezahlen würden. Geld, von dem ich mir wiederum den besten Anwalt leisten könnte, den es gibt, damit er mir meinen Sohn zurückholt.«
Ruthie nickte. Jetzt ergab alles einen Sinn – und genau das beunruhigte sie. Candace war eine völlig unberechenbare Frau, die nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen hatte. »Sie glauben also wirklich, dass meine Mutter die fehlenden Tagebuchseiten hat?«
»Ja. Davon bin ich überzeugt. Obwohl eure Eltern immer behauptet haben, die Seiten wären an besagtem Wochenende, als Tommy und Bridget getötet wurden, verloren gegangen. Ich habe all die Jahre geduldig gewartet, weil ich mir ganz sicher war, dass sie eines Tages wieder auftauchen würden – dass eure Eltern versuchen würden, sie zu Geld zu machen. Und ich glaube, genau das passiert jetzt gerade. Vielleicht hat eure Mutter aus irgendeinem Grund entschieden, dass die Zeit reif ist. Vielleicht hat sie sie sogar schon verkauft. Durchaus möglich, dass sie das Geld kassiert und sich damit abgesetzt hat.«
Fawn schüttelte den Kopf. »Sie würde uns nicht im Stich lassen.«
»Fawn hat recht«, bekräftigte Ruthie. »Das würde sie nicht machen. Ich kann mir vorstellen, dass sie versucht, die Seiten zu verkaufen – falls sie sie überhaupt hat –, aber wenn, dann würde sie es für uns tun, das weiß ich ganz genau.«
Ruthie fiel das Versprechen ihrer Mutter ein, im nächsten Jahr bei der Finanzierung des Studiums zu helfen. War das etwa ihr großer Plan gewesen: die eine wertvolle Sache, die sie besaß, zu verkaufen, damit Ruthie auf das College ihrer Wahl gehen konnte?
»Mag sein.« Candace zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat eure Mutter ja versucht, die Seiten zu verkaufen, und irgendwas ist schiefgegangen. Ich muss zugeben, dass ich … überrascht war, als du bei mir vor der Tür standst und mir gesagt hast, dass sie verschwunden ist«, fügte Candace hinzu und zog erneut an einer Haarsträhne. »Alice wollte damals unbedingt hierbleiben und dich als ihr eigenes Kind aufziehen. James genauso. Ich hatte ihnen mein Wort gegeben, mich nicht einzumischen. Sie sollten für dich sorgen und dir niemals die Wahrheit über deine leiblichen Eltern sagen. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass es so das Beste wäre. Mein Mann – inzwischen mein Exmann – wollte noch keine Kinder. Er wollte die ganze Sache einfach nur vergessen. Es war ihm von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen, dass Tommy und ich uns so nahe standen. Außerdem wollten James und Alice hier draußen über den Hügel wachen. Sie wollten dafür sorgen, dass das Monster, von dem sie glaubten, dass es da oben irgendwo sein Unwesen trieb, nie wieder jemandem etwas zuleide tat. Sie waren … fasziniert von den Legenden. Von Sara und den Schlafenden. Sie waren felsenfest davon überzeugt, dass das Schicksal sie hierhergeführt hatte, dass sie Teil eines größeren Plans waren.«
Wieder musste Ruthie daran denken, wie oft ihre Eltern sie gewarnt hatten: Geh nicht in den Wald. Das ist zu gefährlich.
Hauste da oben wirklich etwas?
Sie erinnerte sich daran, wie sie ihren Vater gefunden hatte, die Axt noch in der Hand. Wie er mit ihr auf dem Arm den Hügel heruntergerannt war und ihr später gesagt hatte, es sei alles nur ein böser Traum gewesen.
Ein lautes Klirren riss sie aus ihren Gedanken. Es kam irgendwo aus dem hinteren Teil des Hauses. Candace zog die Pistole und sprang so schnell auf, dass sie fast den Tisch umgestoßen hätte.
»Woher kam das?«, fragte sie
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