Wintergeister
es hier in den Bergen Geister gibt.«
»Geister.«
»E’l Cerç bronzís dins las brancas dels pins. Mas non. Fantaumas del ivèrn.«
Breillacs Worte kamen mir vage bekannt vor, doch ich wusste nicht, woher. Wieder blickte ich Guillaume fragend an.
»Er sagt, im Lied heult der Cers-Wind in den Bäumen, wenn der Schnee kommt, doch in Wahrheit sind es die Stimmen derer, die in den Bergen gefangen sind.« Er stockte kurz. »Die Wintergeister.«
Es lief mir kalt den Rücken hinunter. Einen Moment lang standen wir reglos da, und jeder fragte sich, was die anderen wohl tun würden. Dann klatschte ich in die Hände, als hätte ich gerade die Pointe eines herrlichen Witzes gehört, und lachte. Der Bann, den Breillacs Worte über uns geworfen hatten, war gebrochen. Ich weigerte mich, mir vom Aberglauben eines alten Mannes Angst einjagen zu lassen. Und Guillaume und Pierre lachten auch.
»Ich werde die Augen offen halten«, sagte ich und schlug Guillaume freundlich auf den Rücken. »Sagen Sie Ihrem Vater, er soll sich keine Sorgen machen! Und nun geht los. Sagen Sie ihm, dass ich hierbleibe und warte, Punktum.«
Breillac fixierte mich mit einem harten, starren Blick, der mich, wie ich zugeben muss, ein wenig aus der Fassung brachte, so intensiv war er. Aber Breillac sagte nichts weiter, und nach einem Moment drehte er sich auf dem Absatz um und winkte seinen Söhnen mitzukommen.
Ich stand mitten auf der Straße und sah ihnen nach, wie sie kleiner und kleiner wurden. Guillaume und Pierre, standhafte, wackere Riesen; ihr Vater, eine kleine drahtige Gestalt zwischen ihnen, die Schultern gerundet, wie von den Jahren gebeugt.
Der Anblick der drei rührte mich. Wohl kaum aus Trauer, denn man kann nicht um etwas trauern, was man nie hatte. Die Breillacs waren eine Familie. Sie gehörten zueinander. Ich hatte nie etwas Ähnliches erfahren. Die Verbindung zu meinen Eltern hatte sich auf den gemeinsamen Nachnamen und die gemeinsame Anschrift beschränkt, mehr nicht. Ich konnte mich nicht entsinnen, dass George, mein Vater und ich je gemeinsam etwas unternommen hatten, nicht mal einen einfachen Spaziergang über die Downs von Lavant nach East Dean.
George war meine Familie gewesen. Er allein hatte mich geliebt. Ich verharrte, als mir ein anderer Gedanke in den Sinn kam. Ich lächelte. Vielleicht würde Fabrissa mich mit der Zeit lieben können. Die Idee schimmerte einen Moment lang herrlich und strahlend und zerplatzte dann wie ein Feuerwerkskörper an Silvester.
Erneut von dem festen Vorsatz beseelt, sie zu finden, ging ich zum Wagen zurück. Ich setzte mich auf den Fahrersitz und beugte mich zum Handschuhfach, aus dem ich meine wasserdichte Taschenlampe nahm. Mein Baedeker lag noch auf dem Beifahrersitz, die Seiten aufgequollen von der Nässe und dem Schnee, der durch die geborstene Windschutzscheibe hereingeweht war. Ich hielt das Buch nach draußen und schüttelte die Glassplitter aus, die sich in ihm verfangen hatten, studierte dann die Karte. Diesmal fand ich Nulle. Ein winziger Punkt auf der Karte, der Name versteckt im Falz zwischen den Seiten. Es war nicht verwunderlich, dass ich ihn übersehen hatte.
Ich suchte so lange, bis ich Miglos fand, das Dorf, das Guillaume erwähnt hatte, und zog mit dem Finger ein Dreieck, um meine Route festzulegen. Ich runzelte die Stirn. Die Entfernungen auf der Karte und das, was ich mit eigenen Augen sehen konnte, passten irgendwie nicht zusammen. Dann wurde mir klar, wieso. Guillaume hatte Sprengungen erwähnt, die in dem Gebiet vor zwanzig Jahren vorgenommen worden waren, für eine neue Route, aber vielleicht waren es auch Steinbrucharbeiten gewesen. Das würde einige Unterschiede erklären. Ich schlug das Titelblatt des Baedekers auf und sah, dass diese Ausgabe 1901 erschienen war.
Ich wusste, dass ich kostbare Zeit vergeudete, und beschloss, mich an der Sonne zu orientieren. Wenn ich erst auf der anderen Talseite angekommen war, würde mir hoffentlich die leuchtend gelbe Lackierung des Austin anzeigen, von wo ich aufgebrochen war.
Was brauchte ich sonst noch? Die geborgte Pelzmütze und die Handschuhe hielten mich gut warm, aber meine Fitwell-Stiefel waren nicht für ein solches Gelände gedacht, und auf dem Weg hier herauf war ich oft ausgerutscht. Ich drehte mich um und nahm meinen Koffer vom Rücksitz. Ich hantierte an den Metallverschlüssen, bis sie aufsprangen, und fischte meine Wanderstiefel heraus. Dabei stieß ich mit den Fingern gegen kaltes Metall.
Nachdem ich die
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