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Wintergeister

Wintergeister

Titel: Wintergeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Stiefel neben dem Wagen auf die Erde gestellt hatte, wandte ich mich wieder dem Koffer zu und kramte in dem Durcheinander aus Kleidungsstücken und Taschenbüchern herum, bis ich den Revolver fand.
    Ich lehnte mich im Sitz zurück und starrte den Webley an. Er war nicht geladen, und ich hatte keine Munition dabei. Ich dachte an die flache Pappschachtel in der obersten Schublade der Kommode in meiner Wohnung in Chichester. Ich fragte mich, ob es ein Akt des Selbstschutzes gewesen war, dass ich die Patronen dort gelassen hatte, doch jetzt kam mir sogar die Frage überflüssig vor. Die Waffe würde mir nichts nützen und wäre nur eine unnötige Last.
    Ich legte sie zurück und schloss den Koffer. Dann zog ich die Wanderstiefel an, stieg, nur mit meiner Taschenlampe bewaffnet, aus dem Auto und schloss die Tür.
    Ich fühlte mich unbesiegbar und so entschlossen, dass mir fast davon schwindelte. Fabrissa hatte jeden Winkel meines Verstandes und meines Herzens in Besitz genommen. Sie war in jedem Atemzug, den ich tat, gegenwärtig, in jedem Gedanken. Was ich tun würde, wenn ich die Höhle erst gefunden hätte, falls ich sie fand, diese Frage stellte sich mir gar nicht.
    Aus heutiger Sicht scheint es absurd, dass mich ein blauer Schemen, den ich ganz kurz auf der anderen Talseite gesehen hatte, derart mit Zuversicht erfüllen konnte. Aber ich kam wirklich nicht mal auf den Gedanken, es könnte etwas anderes gewesen sein als Fabrissa. Sie hatte mir gesagt, ich solle sie finden, und ich würde tun wie geheißen. Was für eine Naivität, was für eine Verblendung!
    Aber was für eine wunderbare Hoffnung.

Die Entdeckung der Höhle
    I ch ging zurück bis zu dem Wegweiser und tauchte dann wieder in den Wald ein, wobei ich mir vorkam wie ein Junge, der die Schule schwänzt.
    Die Atmosphäre schien mir verändert. Ein Grund dafür war, dass es nicht neblig war, wodurch das Sonnenlicht durch den Baldachin der überwiegend kahlen Zweige fiel und goldene Lichtflecke auf den Pfad warf. Aber es kam mir auch deshalb so vor, weil ich mich hier Fabrissa näher und somit fast zu Hause fühlte. Ich fühlte mich wie ein Teil der Landschaft, willkommen, kein Eindringling mehr.
    Jetzt, da ich wusste, wo ich hinwollte, kam ich rasch voran. Schon bald stand ich an der Stelle, wo die gewundenen Wurzeln unter dem Unterholz zu sehen waren. Ich atmete einmal tief durch und begann, an dem Gestrüpp zu zerren. Es war dicht und verschlungen, und der Frost hielt alles in seinem starren Griff. Die fellgefütterten Handschuhe waren zwar klobig, erwiesen sich jedoch als guter Schutz für die Finger, und nachdem ich einige Male ruckartig an einem Ast gerissen hatte, konnte ich ihn zurückbiegen, woraufhin mir der satte Geruch feuchter Erde in die Nase stieg. Tatsächlich, dahinter wand sich eine Treppe aus Wurzeln den Berg hinauf, genau wie Fabrissa gesagt hatte.
    Ich stemmte einen Fuß gegen den Hang und zog immer weiter, als spielte ich mit dem Baum Tauziehen, bis ich mich unter dem Ast hindurchducken konnte. Dann machte ich mich an den Aufstieg, Hände auf den Oberschenkeln, jeder Schritt eine Kraftanstrengung der Muskeln, wie Mallory und Irvine beim Gipfelsturm auf dem Everest. Die Wurzeln waren glitschig und tückisch, und ich fiel mehrmals auf Hände und Knie. Die Abstände zwischen den Stufen wurden weiter und auch steiler, bis es mir schließlich so vorkam, als würde ich eine Leiter hochsteigen, die am Berg hinaufführte.
    Allmählich wurde ich müde. Es war strapaziös, die ganze Zeit gebückt zu klettern, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie Fabrissa und Jean das mitten in der Nacht und in Todesangst geschafft hatten. Aber sie hatten es geschafft. Und ich konnte das auch.
    Als mich fast die Kräfte verließen und ich schon glaubte, nicht mehr weiterzukönnen, gelangte ich unvermutet ins Freie. Ich richtete mich auf, lockerte meine verkrampften Schultern und Arme und setzte mich auf einen Felsen, um wieder zu Atem zu kommen und meine Umgebung in Augenschein zu nehmen.
    Ich befand mich auf einer von Bäumen umringten Lichtung. Sie war zwar nicht das Plateau, das ich von der Straße aus erspäht hatte, aber sie war nicht mehr weit davon entfernt. Ich erkannte den grünen Kranz aus Blättern und Zweigen wieder, wie die Krone einer Maikönigin. Hinter mir konnte ich gerade noch den gelben Farbtupfen meines Automobils auf der grauen Straße ausmachen. Mein Basislager. Und über mir taten sich wie klaffende Münder eine Reihe von Öffnungen unter

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