Wintermond (German Edition)
exzellent.“
„Wirklich?“, fragte Ben unsicher und wagte es wieder, aufzuschauen.
„Ja, wirklich“, entgegnete Jo. „Ich hab’ zwar noch den ein oder anderen Verbesserungsvorschlag, aber alles in allem ... nicht schlecht. Man mag kaum glauben, dass du noch studierst. Manche Architekten kriegen so etwas nicht einmal nach dem Studium hin.“ Jo zwinkerte grinsend.
„Danke“, erwiderte Ben knapp, wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
„Ich werd’ dir mal was zeigen“, sagte Jo dann und erhob sich von seinem Stuhl.
Er schritt zum Bücherregal und blieb vor dem Safe, den Ben ihn schon einige Male hatte öffnen sehen, stehen. Er drehte an dem Rädchen, bis die Tür mit einem leisen Klicken aufsprang. Dann holte er eine gebundene Mappe hervor und schloss den Safe wieder.
„Was ist das?“, fragte Ben interessiert, während Jo ihm das besagte Objekt in die Hand drückte.
„Wirf mal einen Blick rein!“, forderte Jo ihn auf. „Das sind Sachen aus meiner Anfangszeit. Gebäude, die ich entworfen habe.“
Ben runzelte seine Stirn, legte die Mappe vorsichtig auf seinem Schoß ab, als ob er Angst hatte, etwas kaputt machen zu können. Behutsam schlug er sie auf und blätterte in ihr. Er fand komplizierte Zeichnungen und Fotos von fertigen Gebäuden vor. Alles systematisch in dem Hefter angeordnet. Es war beeindruckend. Jo hatte wohl schon seit Beginn seiner Karriere ein gutes Händchen gehabt.
„Das möchte ich auch mal schaffen“, rutschte es Ben ungewollt heraus.
Er hörte Jo leise auflachen, spürte dann dessen Hand auf seiner Schulter. Wie so oft beschlich ihn wieder das familiäre Gefühl, als ob er tatsächlich binnen der kurzen Zeit ein Ersatzsohn für Jo geworden war.
„Du bist auf dem besten Weg dahin, mein Lieber“, sagte Jo und zog seine Hand wieder zurück.
Während Ben weiter blätterte, hörte er hinter sich, wie Jo offenbar nach einem Buch suchte und irgendwann murmelnd eines hervorzog. Wieder schritt er auf Ben zu und legte das Buch vor ihm ab. Mit dem Zeigefinger tippte er dann ein paar Mal auf das Buchcover.
„Lies das mal!“, sagte er dann. „Das wird dir sicher helfen.“
Ben wusste gar nicht, was er zuerst machen sollte - die Mappe weiter durchblättern oder das Buch genauer betrachten. Er wollte nicht unhöflich sein, indem er sich für das Falsche entschied.
Umso dankbarer war er schließlich, als Sam sich plötzlich von seiner Decke erhob, die Vorderpfoten ausstreckte und ihm mit einem kurzen Bellen etwas zu sagen versuchte.
„Ich glaub’, er will raus“, sagte Ben daraufhin und lachte.
„Da magst du Recht haben“, erwiderte Jo.
Ben blickte verloren auf die Zeichnungen in der auf seinem Schoß ruhenden Mappe.
„Du solltest ein Praktikum im Ausland machen. Vielleicht in den USA. Da könntest du dich noch weiter fortbilden“, sagte Jo.
„Ja, ich weiß“, erwiderte Ben und legte die Mappe schließlich wieder vor sich auf dem Tisch ab, als er sah, dass Sam ungeduldig zu werden schien. Der Schäferhund tapste immer wieder hektisch zum Türrahmen, blickte Ben an, kam fiepend wieder zurück und tapste erneut zum Türrahmen.
Jo nahm den Hefter wieder an sich und brachte ihn zurück in den Safe.
„Aber?“, fragte er dabei.
„Dafür fehlt mir das Geld“, erwiderte Ben und stand vom Stuhl auf. Er ging zu Sam, bückte sich leicht und wuschelte ihm durchs Fell. Er spürte Jos festen Blick in seinem Rücken, ignorierte dies aber.
„Dann macht mal, dass ihr rauskommt!“, sagte Jo letztendlich und meinte damit Ben und Sam. „Ich werfe noch mal einen Blick auf deine Arbeiten und notiere dir dann meine Änderungsvorschläge. In Ordnung?“
„Ja, in Ordnung, Jo“, antwortete Ben. „Vielen Dank für deine ganzen Bemühungen.“
„Das mache ich doch gern.“
Während Ben sich wieder zu seiner vollen Größe aufrichtete, dachte er darüber nach, dass auch nur ein winziger Teil von Jos Bemühungen eigentlich besser in dessen Sohn investiert wäre.
„Bis später!“, verabschiedete er sich dann. „Komm, Sam!“
Er verließ das Arbeitszimmer und entschloss sich, sein tägliches Sportprogramm nun nachzuholen. Er eilte also in sein Zimmer, schlüpfte in etwas Sportliches und kehrte wieder in den unteren Flur zurück. Sam wartete ungeduldig an der Haustür. Ben zog sich noch schnell Schal und Mütze über, warf sich eine Jacke um den Körper und verließ schließlich die Villa.
Er lief die Treppe zur Elbe hinunter und entschied sich für die linke Richtung.
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