Wintermord
schloss ihn aber gleich wieder, ohne Karlbergs Frage zu beantworten. Plötzlich fühlte er sich von den erwartungsvollen Blicken seiner Kollegen bedrängt.
Er musste Seja treffen, bevor er irgendetwas anderes anfing. Vorher konnte er weder glaubwürdig handeln noch sprechen. Mittlerweile bereute er, nicht auf sie gewartet zu haben.
»Wovon redest du eigentlich, Tell?«, tönte Bärneflods gereizte Stimme aus der Ecke, in der er bis jetzt schweigend zugehört hatte. »Du willst nicht näher drauf eingehen! Sind wir ein Team oder ziehst du hier irgendeinen Alleingang durch? Was soll das eigentlich? Du enthältst der Gruppe Untersuchungsergebnisse vor! Willst du den Helden spielen und den Fall alleine lösen?«
Beifall heischend sah er sich um, doch die anderen schwiegen.
»Könnten wir nicht versuchen, das Niveau ein bisschen zu heben?«, versuchte er zu vermitteln.
In diesem Moment klatschte Karin Beckman in die Hände. »Wir können es uns nicht leisten, rumzusitzen und zu debattieren, wer hier ein Held ist und wer nicht. Und wir können es uns auch nicht leisten, einen plausiblen Ansatz nicht weiter zu verfolgen. Wie du schon gesagt hast: Wir haben weder ein Motiv gefunden noch eine Verbindung zwischen Waltz und Bart. Wenn sich Edells und Barts Wege nachweislich gekreuzt haben, dann müssen wir nachforschen, wohin diese Spur uns führt. Und du wirst uns an deinen Überlegungen teilhaben lassen, sobald sie nachvollziehbar sind, stimmt’s, Tell?«
Er stand auf und warf ihr einen dankbaren Blick zu, den sie mit einer zweideutigen Grimasse beantwortete.
»Danke. Okay, wir machen also einen Schwenk. Vorläufig lassen wir Lars Waltz ruhen und wenden uns Thomas Edell zu: Hintergrund, Familie, Bekanntenkreis, Arbeit. Ich schätze, ihr wisst schon, was ihr jetzt zu tun habt. Ich schlage vor, wir betrachten diesen Moment als Zäsur und nutzen den Abend, indem wir nach Hause fahren und über die neue Wendung nachdenken. Und dann sehen wir uns wieder hier, morgen früh Punkt acht, mit neuer Energie.«
Auf der Fahrt nach Stenared baute sich leiser Zorn in Tell auf. Er hatte das Gefühl, dass sie sich durch falsches Spiel Zugang zu einem Gebiet verschafft hatte, das ihm vorbehalten war.
Und was noch viel schlimmer war: Es musste ja einen Grund dafür geben. Sie hatte ihm die geheime Information vorenthalten, die sie besaß – obwohl sie besser als jeder andere wusste, wie er sich damit gequält hatte, die Puzzleteilchen zu einem stimmigen Bild zusammenzusetzen. Sie vertraute ihm nicht.
Am wütendsten hätte es ihn gemacht, wenn sie die Unwissende gespielt hätte. Aber das tat sie gar nicht.
Stattdessen zeigte sie eine ganz andere Reaktion: Sie war stocksauer, dass er in ihren Sachen gestöbert hatte. Dass er ihr Haus betreten hatte.
»Ich kann es nicht fassen, dass du so tust, als wärst du hier zu Hause, dass du hier Schubladen öffnest. Und meinen Computer anmachst!!! Wonach hast du eigentlich gesucht? Bist du hier auch nur in deiner Eigenschaft als Kriminalkommissar? Oder bin ich am Ende vielleicht eine Verbrecherin?«
Sie fragte ihn, ob er so mit den kriminellen Elementen umging, die ihm bei der Arbeit unterkamen, ob er immer mit ihnen ins Bett ging, um sich Zugang zu eventuellem Beweismaterial zu verschaffen. Und er schoss zurück, dass sie ja gar nicht wisse, was sie da rede, und einfach nur scheißhysterisch sei. Hysterisch war sie tatsächlich, und für den Bruchteil einer Sekunde befürchtete er schon, sie könnte gleich zuschlagen.
Doch sie ging zum Kamin, setzte sich auf den Sessel und stützte den Kopf in die Hände. »Du hast einfach mein Haus durchsucht, ausgerechnet du . Du hast sogar meine Wäscheschublade durchwühlt. Das ist doch völlig krank!«
»Was denn, du , du , warum betonst du die ganze Zeit dieses Du? «, fragte er irgendwann gereizt.
»Weil ich das nicht von dir gedacht hätte«, erwiderte sie schlicht. »Ich hatte gehofft, dass das mit uns beiden was Echtes ist.«
Tell sank in den Sessel gegenüber von Seja und versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Er unterdrückte seinen Impuls, sich einfach ins Auto zu setzen und wieder ins Büro zu fahren. Hysterisch oder nicht, er schämte sich doch ein wenig.
Tatsächlich hatte er in seinem manischen Zustand auch die Schubladen durchwühlt, in denen sie ihre Unterwäsche aufbewahrte. Nicht, dass ihn ihre Wäsche in jenem Moment auch nur im Geringsten interessiert hätte. Das Einzige, was er da vor Augen hatte, waren die Mappe und das Bild von
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