Wintermord
auch den Schaden, den Berit Johansson erwähnt hatte, eine Delle seitlich an der Motorhaube. Frau Johansson war ganz sicher, dass diese Delle vorher nicht da gewesen war.
Sie wirkte etwas unschlüssig, als sie hörte, dass sie das Auto vorerst nicht vermieten könne. Vielleicht werden die Techniker es doch noch für eine Untersuchung abholen.
Tell versicherte ihr jedoch, dass er Johansson & Johansson umgehend informieren würde, sobald geklärt war, ob Mark Sjödin überhaupt existierte und nicht nur ein Alibi für die Mordnacht hatte, sondern auch eine Erklärung dafür, warum er sich den Jeep geliehen hatte.
Wenn Sjödin nicht existierte, sahen die Dinge natürlich anders aus. Dann wäre das Auto Beweismaterial und müsste genauso gründlich untersucht werden wie das Gelände rund um Johansson & Johansson.
Er wählte Karlbergs Durchwahl, in der Hoffnung, ihn in seinem Büro zu erreichen. Er hatte Glück.
»Meinst du, du bleibst noch eine Weile?«
»Denke schon.«
»Mark Sjödin und Ralf Stenmark. Guck mal nach, was du rauskriegen kannst.«
»Sind das die Namen, die ihr von den Mietwagenverleihern bekommen habt?«
»Ja, in Ulricehamn und im Mölndalsväg.«
Neben ihm änderte Gonzales seine Position und begann zu schnarchen.
Es war schon später Abend, als Tell hinter dem Coop-Supermarkt auf den Hammarkulletorg einbog und das Auto quer über zwei Parkplätze abstellte. Gonzales zuckte zusammen, als Tell kräftig in die Hände klatschte.
»Zeit aufzustehen, sleeping beauty .«
Er zwinkerte Gonzales zu, der ihn schlaftrunken anstarrte. »Hier wohnst du doch, oder?«
Gonzales nickte verwirrt und rieb sich die Augen. Verlegen suchte er seine Sachen vom Rücksitz zusammen.
Tell machte ein paar Dehnübungen und massierte sich den schmerzenden Rücken. Gonzales bekam ein schlechtes Gewissen, doch Tell schien seine Gedanken zu lesen: »Schon okay. Zur Strafe geh ich noch kurz mit dir hoch. Ich muss schon seit Borås aufs Klo.«
In der Dunkelheit schienen sich die riesigen Häuser über den Platz zu lehnen, und die Satellitenschüsseln wirkten wie wachsame Ohren. Gonzales grüßte ein paar Jungs, die trotz der späten Stunde noch vor Marias Café im Gewerkschaftshaus herumlungerten. Allen klemmte eine Zigarette zwischen den Lippen.
»Was finden kleine Jungs eigentlich daran, um diese Zeit und bei dieser Kälte auf dem Platz rumzustehen und zu rauchen? Wollen sie Rentner überfallen?«, murmelte Tell und spielte damit auf eine Serie von Raubüberfällen an, die in letzter Zeit von einer Gang Jugendlicher verübt worden waren. Die Brutalität dieser Verbrechen hatte die Medien aufhorchen lassen.
Gonzales lachte. »Diese Jungs da? Die könnten nicht mal ein Eichhörnchen überfallen, die sind fromm wie die Lämmchen. Außerdem werden alte Damen eher von den Jugendlichen in Biskopsgården ausgeraubt. Hier wohnen nur nette Kanaken.«
»Mann, so hab ich’s jetzt nicht gemeint«, gab Tell beleidigt zurück.
Gonzales lachte vergnügt. »Weiß ich doch.«
Im achten Stock, vor der Wohnung der Familie Gonzales, roch es nach Essen und ein bisschen nach Feuchtigkeit. Der Treppenabsatz war mit ausrangierten Möbeln vollgestellt. Auf einen rosa Cordsessel hatte der Vermieter einen Zettel geheftet, auf dem er androhte, die Möbel abtransportieren zu lassen, wenn sie nicht innerhalb einer Woche entfernt würden. Die Bassläufe eines Latino-Popsongs erfüllten das Treppenhaus, als Gonzales die Tür aufmachte.
Er trat durch einen Perlenvorhang in den Flur. »Mama! Du hast doch versprochen, heute den Müll aus dem Treppenhaus zu räumen.«
Eine Frau in einem langen Kleid tauchte im Flur auf. Ihr schokoladenbraunes krauses Haar stand ihr wie eine Wolke rund um das strahlende Gesicht. »Michael.«
Sie musterte Tell ungeniert von Kopf bis Fuß. Obwohl die Frau nicht viel älter war als er selbst, kam er sich vor wie ein Zehnjähriger, der zum ersten Mal bei einem Klassenkameraden eingeladen ist.
»Du hast eine Freund mitgebracht.«
Gonzales verdrehte die Augen. »Das ist Francesca, meine Mutter. Mama, das ist ein Kollege von mir, Christian. Er möchte bloß kurz unsere Toilette benutzen.«
Tell hatte das Gefühl, die Situation selbst in die Hand nehmen zu müssen. Er ging auf Francesca Gonzales zu und streckte ihr die Hand entgegen.
Erschrocken wich sie zurück und zeigte auf seine Schuhe. »Die Schuhe, bitte.«
Tell kam aus dem Konzept und starrte auf seine Schuhe. »Ich wollte eigentlich nur kurz auf die
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