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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Innenleben. Bisher waren Phänomene wie »überspannter« Ehrgeiz oder kleinliche Ängste und Hemmungen nur ganz persönliche Anwandlungen gewesen, die vor dem Thron seiner offiziellen Seele nicht anerkannt worden waren. Jetzt spürte er unbewusst, dass diese privaten Dinge sein eigenes Selbst waren – und alles Übrige nur eine Schmuckfassade, ein konventionelles Aushängeschild. Der Druck von außen hatte ihn auf den verschwiegenen, einsamen Pfad des Jünglings gedrängt.
    Er kniete in der Bank neben seinem Vater. Die Messe begann. Rudolph kniete sehr aufrecht (wenn er allein war, pflegte er sich mit dem Hinterteil gegen die Bank zu stützen) und genoss das Bewusstsein eines subtilen Racheakts. Sein Vater neben ihm betete, Gott möge Rudolph verzeihen und auch ihm seinen Zornesausbruch vergeben. Dabei schielte er seitwärts auf seinen Sohn und bemerkte erleichtert, dass der gequälte, wilde Ausdruck von dessen Gesicht verschwunden war und das Schluchzen aufgehört hatte. Gottes Gnade im Sakrament würde ein Übriges tun, und nach der Messe wäre vielleicht alles wieder gut. Insgeheim war er stolz auf Rudolph und bereute allmählich ebenso aufrichtig wie auch in aller Form, was er getan hatte.
    Das Weiterreichen der Kollekte war im Allgemeinen für Rudolph ein kritischer Moment beim Gottesdienst. Wenn er, was oft vorkam, kein Geld dafür bei sich hatte, beugte er in tiefer Scham den Kopf und übersah die Kollekte geflissentlich, damit nicht Jeanne Brady in der Bank hinter ihm auf den Gedanken käme, seine Familie sei plötzlich arm geworden. Heute jedoch blickte er kalt darauf nieder, als der Teller in seinem Gesichtskreis erschien, und bemerkte mit beiläufigem Interesse die vielen Centstücke, die darauf lagen. Als aber das Glöckchen zur Kommunion rief, erschauerte er. Was sollte Gott davon abhalten, sein Herz stillstehen zu lassen! In den letzten zwölf Stunden hatte er eine Reihe von Todsünden begangen, eine immer schwerer als die andere, und er war im Begriff, dem allen mit einem Sakrileg die Krone aufzusetzen.
    »Domine, non sum dignus; ut intres sub tectum meum; sed tantum dic verbo, et sanabitur anima mea…«
    Ein Schurren erhob sich in den Bänken, und die Kommunikanten bahnten sich mit niedergeschlagenen Augen und gefalteten Händen ihren Weg zu den Altarstufen. Die besonders Frommen legten die Finger so aneinander, dass sie einen Kirchturm bildeten. Zu ihnen gehörte auch Carl Miller. Rudolph folgte ihm zum Altargitter und kniete nieder, wobei er mechanisch die Serviette unters Kinn nahm. Schrill erklang die Glocke. Die weiße Hostie über dem Kelch haltend, kam der Priester vom Altar:
    »Corpus Domini nostri Jesu Christi custodiat animam tuam in vitam aeternam.«
    Als die Kommunion begann, brach Rudolph auf der Stirn der kalte Schweiß aus. Pater Schwartz bewegte sich an der Reihe entlang. Mit wachsender Übelkeit fühlte Rudolph seine Herzmuskeln unter dem Willen Gottes erschlaffen. Die Kirche erschien ihm jetzt dunkler und von einem großen Schweigen erfüllt, das nur durch das unartikulierte Gemurmel unterbrochen wurde, mit dem sich das Nahen des Schöpfers von Himmel und Erde ankündigte. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und erwartete den vernichtenden Schlag.
    Da bekam er einen harten Rippenstoß. Sein Vater stieß ihn an, sich aufzurichten und nicht gegen das Gitter zu fallen. Der Priester war nur noch zwei Schritte entfernt.
    »Corpus Domini nostri Jesu Christi custodiat animam tuam in vitam aeternam. «
    Rudolph öffnete denMund. Er fühlte die muffig und wächsern schmeckende Oblate auf der Zunge. So verharrte er eine, wie ihm schien, unendlich lange Zeit unbeweglich, den Kopf immer noch erhoben, die Oblate ungelöst in seinem Mund. Wieder stieß ihn sein Vater mit dem Ellbogen, und er sah, dass die Leute sich gleich fallenden Blättern vom Altar lösten und blind mit gesenkten Augen zu ihrer Bank zurückkehrten, jeder allein mit seinem Gott.
    Rudolph war allein mit sich selbst, in Schweiß gebadet und tief in seine Todsünde verstrickt. Als er zu seiner Bank zurückging, hallte sein Pferdefuß laut auf den Steinfliesen, und er wurde sich bewusst, dass er ein dunkles Gift im Herzen trug.
    V
     
    »Sagitta Volante in Dei«
    Der hübsche Knabe mit den saphirblauen Augen im blütenblättergleichen Strahlenkranz der langen Wimpern war mit seinem Sündenbekenntnis vor Pater Schwartz zu Ende gekommen. Der Sonnenfleck, in dem er gesessen hatte, war um eine halbe Stunde im Raum

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