Winterwelt (Sommer-Sonderpreis bis zum 06.08.2012!) (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Anne sich auf einem der Sessel sinken. Sie hätte sich wohl denken können, dass Arrow nicht so unwissend nach Hause kommen würde, wie sie gegangen war. Trotzdem hatte Anne gehofft, sie könne diesen Moment hinauszögern oder bestenfalls ganz umgehen.
Nichtsdestotrotz wusste sie, dass ihre Enkelin ein Recht darauf hatte, etwas über sich zu erfahren – etwas, das sie nicht in ihren Erinnerungen finden konnte, da es stets vor ihr verheimlicht wurde.
Arrow setzte sich zu ihrer Großmutter an den Tisch, und während sie Tee einschenkte, suchte Anne nach dem richtigen Anfang.
„Was genau hat dir dein Vater alles über uns erzählt?“
Arrow zuckte mit den Schultern und überlegte kurz. „Im Grunde hat er mir gar nichts erzählt.“
„Dann weißt du also auch nichts über die Wächter?“, fragte Anne und musterte dabei sehr genau Arrows Reaktion.
Sie schüttelte den Kopf.
„Gut“, entgegnete Anne und holte tief Luft. „Dann wirst du es heute von mir erfahren.“
Arrow war angespannt. Sie hatte damit gerechnet, dass ihre Großmutter eher streiten würde, als ihr etwas zu erzählen, doch offenbar blieb das dieses Mal aus.
„Die Wächter, oder auch Perseiden, sind ein Teil der Nyriden. Aber ... was genau das bedeutet ... dazu komme ich später.
Vor sehr, sehr langer Zeit waren Nyriden freie Wesen – unabhängig, ungebunden und ohne einen Wächter an ihrer Seite. Sie verfügten über große Macht, denn sie regelten den Kreislauf der Natur. Obwohl ... regelten ist das falsche Wort – sie WAREN der Kreislauf der Natur. In ihren Händen lagen der Wechsel der Jahreszeiten und die Entscheidung zwischen Leben und Tod. Ein jeder von ihnen besaß einen kleinen Teil dieser Macht. Einige besorgten den Regen, andere den Schnee und wieder andere Wind oder Wärme. Niemals besaß einer die gesamte Macht oder mehr als einen Teil davon. Jeder hütete nur eine einzige Kraft.
Die einzige Ausnahme bildeten die Urmächte. Sie trugen das Zentrum dessen in sich – den Kern, aus dem alles entstanden ist. Du kennst diese Mächte heute als die vier Jahreszeiten.
Doch so schön und unbekümmert das alles erschien, gab es auch eine andere Seite, und zwar die mit Wünschen und Erwartungen.“
Anne schaute Arrow erwartungsvoll an. Sie erhoffte sich von ihrer Enkelin einen Geistesblitz. Es fühlte sich an wie früher, als sie noch für Arrows schulische Ausbildung zuständig gewesen war.
„Du weißt nicht, wovon ich spreche?“
Verständnislos schüttelte Arrow den Kopf. Woher sollte sie es wissen, wenn ihr es ja eigentlich niemals jemand erzählt hatte?
„Das wundert mich, mein Kind. So oft, wie du die 'verbotenen Bücher' damals aus der Bibliothek geholt hast, solltest du den Inhalt doch inzwischen auswendig können.“ Anne lachte.
„Du weißt davon?“ Arrow versuchte es zu unterdrücken, doch der Ton des Ertappt-Werdens hallte unweigerlich im Raum wider.
„Das war damals unser Ziel. Schließlich solltest du dich hier zurecht finden. Nur deine menschlichen Freunde durften nichts davon erfahren. Wärst du mit diesen Dingen ohne Angst an die Welt heran getreten, hättest du uns in größte Gefahr gebracht.“
Arrow überlegte, worauf Anne wohl anspielte. An vieles, was sie damals in den Büchern gelesen hatte, erinnerte sie sich gar nicht mehr. Im Grunde wusste sie nur das, was sie in den letzten Jahren hier gelernt hatte. Sie zuckte mit den Schultern.
„Nyriden waren, wie die meisten anderen Naturgeister, seelenlose Geschöpfe“, antwortete Anne. „Sie wünschten sich nichts sehnlicher, als eine Seele zu besitzen.“
Arrow runzelte die Stirn. „Ein Geist verspürt den Wunsch nach einer Seele, obwohl er nicht weiß, wie es ist, eine zu haben? Das verstehe ich nicht. Ich habe immer angenommen, dass man etwas, das nie da war, gar nicht vermissen kann.“
Anne musterte ihre Schülerin und Arrow wusste, dass ihre Großmutter nicht vollkommen unzufrieden mit der Antwort war, es allerdings noch eine Bessere geben musste.
„Mein Kind, du denkst an die Seele im biblischen Sinne, wo es heißt, dass seelenlose Wesen in die Hölle kommen. Bei uns ist das anders. Hier ist es so, dass ein Wesen, das keine Seele besitzt, nicht einfach stirbt, sondern eines Tages einfach aufhört zu existieren. Eine Seele gelangt nach ihrem Tod in das Himmelreich oder in die Unterwelt, doch sie ist unsterblich. Ohne Seele verschwindet man eines Tages einfach von der Bildfläche. Man wird durch jemand anderen rücksichtslos ersetzt und
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