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Wir beide nahmen die Muschel

Wir beide nahmen die Muschel

Titel: Wir beide nahmen die Muschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Hendrix
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ganzen Camino. Wir werden uns
heute bei allem etwas mehr Zeit lassen. In der Albergue konnten wir uns etwas
zum Frühstück kaufen. Ich hatte Glück und bekam die beiden letzten süßen
Gebäcks, meine Partnerin stand mehr auf getoastetes Graubrot. Sie stellte beim
Aufstehen fest, dass ihr linker Arm zerstochen war. Ich denke, dass dies nicht
in der Herberge passiert ist, dafür war sie zu sauber. Hier hatte einfach alles
gestimmt. Man muss in dieses Haus große Summen Geld gesteckt haben, alles war
vom Feinsten, nirgendwo hatte man gespart. Leider hatten auch hier die
Schmutzpilger die Dusch- und Toilettentüren verkratzt und beschmiert, wie so
oft auf unserem Weg. Wir schauten in unserem Pilgerführer und überlegen, wo wir
heute übernachten sollten. Schnell waren wir uns einig, wir gehen bis Ventas de
Naron, das sind 13,4 km und die müssen für heute reichen. Trotz aller Trentelei
waren wir nicht die Letzten, die das Haus verließen. Wir gingen am Ortsausgang
über eine lange Fußgängerbrücke, welche einen schmalen Zipfel des leeren
Stausees überspannt und kamen in ein größeres Waldgebiet. Der Waldweg ging
anstrengend hoch. Es war noch etwas kühl am Morgen und das war im Moment für
uns ein großer Vorteil. Oben angekommen endet der Weg an der Landstraße C 535.
Die Gegend wurde einsamer, hatten wir zuerst noch eine große Ziegelei und eine
Hühnerfarm am Wegesrand, so gab es jetzt nur noch Feld und Wald. Da wir uns
hier auf einer Höhe von 550 m bewegten, waren die Aussichten nach links und
rechts in weite Täler wunderschön. Gut zwei Stunden waren wir nun schon in der
Nähe der Landstraße gegangen. Manchmal unmittelbar daneben, sehr oft aber auch
zwanzig und mehr Meter von ihr entfernt. Der Weg bestand zum größten Teil aus
festgefahrenem Splitt und lässt sich gut gehen. Die Ränder links und rechts
sind gelb von blühendem Ginster. Wir überholen eine spanische Mädchenklasse,
sie machen sich gegenseitig auf unsere Deutschlandfahne aufmerksam. Sie waren
vielleicht vierzehn Jahre alt, hatten ein Radio dabei, welches sehr laut
spielte. Sie schwatzten untereinander. Ich fragte sie, wie viele Kilometer sie
heute gehen würden. Zehn war ganz stolz ihre Antwort und gestern sind wir auch
zehn gegangen. Ihre Lehrerin hatte bestimmt 25 kg zu viel an Gewicht, trug eine
Kniebinde und dackelte 50 Meter hinter der Klasse. Die Mädchen wollten von uns
wissen, wie viele Kilometer wir denn schon gegangen wären? Als ich ihnen 720 km
sagte, schauten sie uns ganz erstaunt an. Sie konnten nicht begreifen, dass man
so eine große Strecke gehen kann. Als wir ihnen sagten, dass wir im Ganzen fast
elfhundert Kilometer gehen würden, haben sie uns fast ehrfürchtig angesehen.
Nach gut zwei Stunden erreichten wir den Ort Gonzar mit vierzig Einwohner und
machen unsere erste längere Pause und trinken in einem Café eine Tasse Café con
Leche. Anschließend geht es noch mehr ansteigend weiter in Richtung Hospital da
Cruz. Desto höher wir kamen, umso weiter ging unser Blick über weit entfernte
Berge und Tälern. Diese herrlichen Aussichten werden wir zuhause einmal sehr
vermissen. Ich darf nicht dran denken, dass wir zwei Drittel unserer Zeit schon
hinter uns haben. Wir wollten uns eigentlich heute einen gemütlichen Tag
gemacht haben, aber da war im Moment kein Denken dran. Der Rucksack drückt
gewaltig und die Knie fangen an zu schmerzen. Nach einer weiteren Stunde
mussten wir erneut eine Pause einlegen. Es kann nicht mehr weit bis oben sein,
so hofften wir jedenfalls. Zu oft ging es heute rauf und runter. Nach einer
weiteren halben Stunde hatten wir es geschafft, wir erreichen Hospital da Cruz.
Es war mittlerweile wieder sehr warm geworden, ich schätze zwischen 26°C und
30°C, zum Glück hatten wir beide genügend Getränke mit. Das größte Stück waren
wir getrennt gegangen, so konnte jeder seinen Gedanken freien Lauf lassen. Nun
hatten wir nur noch 1,4 km bis zur Albergue. »Herr Wanderführer«, fragte Helga,
»wann kommt endlich unser Quartier in Ventas de Naron?« Eine gute Frage, ich
wusste es auch nicht. Es ging weiter hoch, wir müssten sie eigentlich schon
lange erreicht haben, sollen wir zurückgehen? »In keinem Fall, dann gehen wir
weiter bis zur nächsten Albergue, aber nicht zurück«, war ihre Antwort. Es gab
keinen Waldweg mehr, nur noch Asphaltstraße und die Sonne brannte vom Himmel
auf uns herab. Plötzlich ein Ortsschild, schnell den Pilgerführer zur Hand,
leider war der Namen darin nicht

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