Wir beide nahmen die Muschel
der Albergue läutet es in der Kapelle zur
Abendandacht. Leider habe ich noch eine halbe Flasche Wein und noch einiges zu
schreiben. Mir fällt auf, dass wir erst einmal in den ganzen Wochen abends eine
Kirche besucht hatten. Es war beim Stundengebet der Mönche gewesen. Wir beide
fühlen uns in der Masse der Pilger nicht wohl. Viel lieber gehen wir allein
unseren Weg und halten Gespräch mit unserem Schöpfer. Die beste Gelegenheit war
für uns in der unendlichen Weite der Meseta. Wir haben sie beide geliebt. Hier
waren wir unserem Schöpfer ganz nahe. Am Abend saß ich draußen mit einigen
Pilgern zusammen und wir erzählten unsere Erlebnisse der letzten Tage. Helga
saß in einer Gruppe Behinderten und hatte sich mit einem jungen Mädchen
angefreundet. Beide trugen sie die gleichen bunten Plastikbadelatschen und sie
waren, genau wie ihre bei Lidl gekauft worden. Sie hatte vor sich eine Tafel
Schokolade und jeder durfte sich bedienen. Es wurde sehr viel an ihrem Tisch
gelacht. Sie hat ein Talent, auf Menschen zuzugehen. Sie hat mir heute
ermöglicht die Templerburg zu besichtigen, nun muss ich einmal darauf achten,
dass auch ihre Wünsche erfüllt werden. Dies ist für mich nicht so einfach, weil
sie sehr bescheiden ist. So sagte sie einmal zu mir, seit dem ich meine Kinder
habe, setze ich meine Interessen zum Wohle meiner Kinder zurück. Jeden Tag
bekommt sie von ihnen eine SMS, »Mama du fehlst uns, wir sind so stolz auf
dich, weil du diesen langen und schweren Weg gehst, noch keiner aus unserer
Verwandtschaft ist diesen Weg gegangen wir lieben und bewundern dich.« Die Oma,
welche nebenan wohnt, sorgt sich sehr liebevoll um sie. Einige SMS habe auch
ich von ihnen bekommen. Ich bin vierzehn Jahre älter, aus meiner Familie oder
Verwandtschaft hat mich noch keiner bewundert, eher vergessen. Ich traf Hans in
der Küche wieder. Mit zwei Betreuern bereitete er das Abendessen vor. Ich denke
er hat auf dieser Tour einen sechzehn Stundentag. Er hat eine sehr ruhige
Ausstrahlung, man muss ihn einfach gern haben. Lachend winkt er einmal kurz zu
mir rüber, mehr Zeit hat er im Moment nicht. Da ich selber lange Zeit mit
Gruppen auf Fahrt gewesen war, weiß ich wie schwer diese Aufgabe ist und mit
behinderten Jugendliche bestimmt noch schwieriger. Es ist 20:30 Uhr und ich bin
müde. Mein linker Fuß hat eine Zerrung, welche hoffentlich morgen behoben ist.
Bei nur vier Schläfer im Raum werde ich bestimmt eine ruhige Nacht haben. Mal
sehen wie ich oben in mein Bett reinkomme, aber noch wichtiger wie ich in der
Nacht runter komme, wenn ich zur Toilette muss. Dies wird für mich bestimmt wie
die Ersteigung der Eiger Nordwand werden. Gute Nacht für heute und wenn ich mir
nicht den Hals breche geht es morgen mit frischem Mut weiter auf unserem Weg
nach Santiago de Compostela. Nur noch 217 km und wir haben es geschafft zum
Grab unseres Apostels. Da unser Zimmer neben dem Haupteingang liegt höre ich
noch sehr lange das Lachen von Helga und den Mädchen. Sie war die gute Seele am
Tisch. Für jede hatte sie ein gutes Wort. Wie oft habe ich den Kopf geschüttelt
wenn sie sich mit den Brasilianer unterhalten hat, ohne ihre Sprache zu
sprechen. Sie erklärt es mit ihren Händen und wenn das noch nicht reichte tanzt
sie um die Pilger herum bis alle in schallendes Lachen ausbrechen und jeder dem
anderen erklärt, was sie damit gemeint hatten. Für mich ist sie die Seele am
Camino. Der alte Mann unter mir schläft schon. Hoffentlich hat er heute etwas
Vernünftiges gegessen. Ich klettere in mein Bett, was besser ging als ich gedacht
hatte und ließ noch einmal den Tag in Gedanken an mir vorbei ziehen. Schon seit
sieben Tagen treffen wir in den Albergues eine Dreiergruppe Frauen. Auf unserem
Pilgerweg haben wir sie noch nie gesehen. Wir vermuten, dass sie mit dem Auto
die ganze Strecke abfahren, den Wagen in eine Seitenstraße abstellen und zur
Albergue gehen. Sie schleppen sehr viel Gepäck mit. Es ist eine sehr breit
gebaute spanische Mutter mit ihrer unnatürlich fetten Tochter, welche mich an
einen Tanzbär erinnert. Sehr lange haben wir gerätselt ob es ein Junge oder ein
Mädchen wäre. Erst als sie einmal zur Toilette ging hatten wir die Lösung
unserer Frage. Die Dritte ist eine deutschsprachige Frau, ich stufe sie ein
zwischen einer Zigeunerin oder Weltenbummlerin. Sobald sie in einer Albergue
angekommen sind, fangen die beiden älteren Frauen an zu kochen. Es werden
Unmengen Fleisch gebraten. Die Tochter sitzt mit einem Laptop
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