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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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haßt sie mich …
    Weil er keine Ruhe hat in seinem Grabe, flüstert die alte Frau. Weil er jede Nacht mit mir redet, Sie sollen es gutmachen. Zehnmal habe ich Sie schon gebeten, Herr Superintendent …
    Und hundertmal habe ich Ihnen gesagt, daß ich das nicht kann. So viele Gebete habe ich hier für Ihren Mann schon in meinem Zimmer gesprochen …
    Aber öffentlich! ruft Frau Witte, öffentlich sollen Sie widerrufen!
    Öffentlich kann ich es nicht, öffentlich darf ich es nicht!
    Sie wollen nur nicht, Herr Superintendent! Aber damals, als Sie am Sarge standen, und Sie hielten meinem Mann die Gedächtnisrede, und Sie hatten alles verwechselt – Ihnen macht das ja nichts aus, und Sie dachten, die alte Dörnbraken läge im Sarge – und es war mein lieber Mann. Und Sie haben von der hochbetagten Greisin gesprochen, und er war siebenunddreißig Jahre! Und Sie haben von ihrem gottseligen, sanften Ende geredet, und die Wellen haben ihn in das Winterwasser geschlagen, und er hat schrecklich geschrien, ehe er ertrunken ist. Und Sie haben von den Enkeln und Urenkeln geredet, und er hatte …
    Aber es ist elf Jahre her, rief der Superintendent, es durfte nicht geschehen, aber es ist nun einmal geschehen. Und Ihr Mann erscheint Ihnen auch gar nicht, sondern es ist Ihr verstocktes Herz, das nicht verzeihen will …
    |244| Und ich kriege Sie dazu, sagt die Witwe, zitternd vor Erregung, ich kriege Sie doch dazu! Sie müssen öffentlich niederknien vor seinem Grabe vor der ganzen Gemeinde und widerrufen. Und ob Sie darüber auch Amt und Würden verlieren …
    Komm, flüstert Johannes zu der zitternden Christiane, und sie schleichen aus der Tür. Längst sind sie von den beiden Streitenden vergessen, aber sie atmen erst auf, als sie draußen auf dem Markt sind. Und auch dann sehen sie noch scheu empor zu den Fenstern des großen Hauses, als könnten sie noch einmal zurückgerufen und gezwungen werden, all den Haß, all das schlechte, böse Gewissen anzuhören, die da seit elf Jahren Wand an Wand hausen. Und das eine hofft immer noch, das andere niederzuzwingen. Und von Zeit zu Zeit, in langen Abständen, tun sie den Mund auf und reden von dem, an das sie immer denken. Und dann leben sie wieder weiter stumm nebeneinander und belauern einander.
    Die beiden, Christiane und Gäntschow, gehen still über den Marktplatz, biegen zum Dorfteich ein und bleiben da unter den Weiden stehen. Sie sehen gedankenlos auf die Gänse und Enten, die auf dem grauen Wasser umherschwimmen.
    Und wir nehmen nie wieder Lebensmittel von ihr, sagt Johannes Gäntschow. Eher breche ich noch bei Stavenhagen ein.
    Nie wieder, bestätigt Christiane schaudernd. Wie sie nur leben können so! Ich könnte nicht eine Stunde so atmen.
    Viele leben so. Und ähnlich, sagt Johannes, und vielleicht denkt er an seinen Vater und seine Mutter.
    Ja, da standen sie beide, und wenn irgendein Dörfler in der Nähe vorüberging, so war er bestimmt von Neid erfüllt auf die hochgeborene Freiin Christiane von Fidde und den Bengel, den Johannes Gäntschow, der es in jungen Jahren schon so weit gebracht hatte, daß er mit Grafen und all solchen Leuten auf einem richtigen Schloß verkehrte.
    Aber nach Beneidetwerden war ihnen eigentlich nicht zumute. |245| Weiß der Henker, wie es zuging, aber der Bullenberger war trotz aller Sorgen fast etwas Unwirkliches gewesen, das sie allein für sich gehabt hatten und das eines Tages nicht mehr da sein würde, ganz so, als ob er nie gewesen wäre.
    Aber dieser Streit zwischen Superintendenten und Fischerswitwe über eine verwechselte Totenrede, der würde nie wieder ganz fortgehen, und das war schlimm. Christiane sah das Wasser des Dorftümpels an, und wäre es ein klares Seewasser gewesen, sie hätte sich gleich gebadet und gescheuert. Sie hatte ein Bedürfnis danach. Aber es war nur der modrige Dorftümpel, in den aller Dreck und Abfall geschmissen wurde. Es stimmte alles. Am liebsten hatten die Leute ihren eigenen Dreck schön nahe und warm am Hause.
    Am liebsten, sagte Christiane auch, ginge ich gar nicht wieder zu Marder.
    Und ich nicht zum Bullenberger, sagte Johannes überraschend. Ich finde jetzt oft, er ist bloß gemein und streitsüchtig, und wir haben seinetwegen von diesem Sommer noch gar nichts abbekommen.
    Aber ich habe ihm doch mein Versprechen gegeben, wandte Christiane ein.
    Gewiß, und das haben wir auch ganz schön gehalten. Aber mittlerweile wird es Zeit für ihn. Suchen tut ihn niemand mehr hier. Und er ist auch gar nicht

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