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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Kleine Haff, dann kam die Peene, er wurde naß und wurde wieder trocken. Er schlief nachts in Gasthofbetten |285| oder im Heu bei einem Bauern oder in einem Strohfeimen, wie es gerade kam. Er hatte die Brücken hinter sich abgebrochen. Es gab nichts der Art wie Vorsorge oder Angst für ihn. Es würde sich schon immer etwas finden.
    Nach der Peene kam er an die See. Er ging sehr lange an ihrem Strand entlang. Man konnte entweder auf die Dünen oder auf den Himmel oder auf das Wasser sehen – es war alles gut.
    Aber trotz seiner Unbekümmertheit setzte er sich in einem Dorf, das Hanshagen hieß, auf die Bahn und fuhr in einem Zuge durch bis Rostock: wenn er auch zwanzig Jahre alt war, so war er doch immerhin erst zwanzig Jahre alt. Sein Vater konnte ihn jederzeit aufgreifen und zurückbringen lassen. Greifswald, Stralsund, das war nun doch eine Gegend, um die man sich bekümmern
mußte
.
    Dann wanderte er immer weiter durch das Land, über Lübeck, Elmshorn, nach Glückstadt. Von Glückstadt fuhr er über die Elbe, fuhr weiter nach Cuxhaven und sah hier die Nordsee. Mit seinem letzten Gelde hatte er den aufgelösten Joppenanzug aus Loden in einen schilfleinenen umgetauscht und noch einmal seine Wäsche erneuert. Nun war er ganz ohne Geld. Aber darum ging es ihm nicht schlechter. Es gab überall Werkstätten, die einen tüchtigen Maschinenschlosser gebrauchen konnten. In den Dorfschmieden war Hochbetrieb mit all dem zu Bruch gegangenen Erntegerät, und jeder Bauer hatte Verwendung für einen kräftigen Mann, der auf die Erntegabel gleich drei Weizengarben spießte. So gab es hier eine Mark und Essen, und dort drei Mark und einen Schlafplatz. Zwei Tage Arbeit, und weitergewandert, reisende Leute soll man nicht aufhalten. Manchmal war er mit Menschen ein Stück Wegs zusammen gelaufen. Sie hatten sich gegenseitig mit Tabak ausgeholfen, und er hatte Wissenswertes für seinen Weg über Schlafstellen und Gendarmen erfahren. Aber er trennte sich immer bald wieder. Menschen hatte er ja in den letzten vier Jahren genug erlebt, und Sprechen war eine ziemlich unfruchtbare Beschäftigung.
    |286| Unangenehm waren zweifelsohne die Gendarmen, die ihm oft sechsmal am Tage seine Papiere abforderten. Aber er ertrug sie mit lächelnder Gelassenheit, weidete sich an ihrem Zusammenzucken, wenn der Stromer sich als »Techniker« entpuppte, war aber innerlich fest entschlossen, seine Freiheit der Faust und den Beinen anzuvertrauen, falls sein Vater ihn etwa wirklich suchen ließ. Aber so etwas geschah ihm nicht. Auf Warder war er sicher schon so verstorben, wie sein Bruder Alwert verstorben war.
    Allmählich wurde das Land immer einsamer, stiller und verlassener. Er hatte sich von der See fortgewandt und marschierte nun zwischen Risch und Rohr, Heide und Moor. Der Himmel war unendlich weit, das braune Land fraß das hellste Sonnenlicht.
    Dörfer und Höfe wurden immer seltener, und das Wasser in den Brunnen war braun und moorig. Er ging immer weiter. Es war still um ihn, und es wurde immer stiller in ihm. Manchmal sah er einen halben Tag lang nichts wie ein paar Kiebitze oder eine Kreuzotter, die sich im Sand des verfahrenen Weges sonnte. Er konnte viele Stunden auf einem Fleck sitzen und die Bienen summen hören. Seine einzige Tätigkeit war vielleicht, daß er sich ganz ins Heidekraut fallen ließ und den Rucksack unter den Kopf schob.
    Er hatte auf seinem Wege von Stettin her alle Abstufungen von Platt durchgemacht. Sie hatten zu Kartoffeln der Reihe nach gesagt: Nudeln, Pantüffeln, Tüffeln, Tüften, Kantüffeln, Kurtuffeln, Ärdappeln. Von der leichten, heimatlichen Aussprache war er immer mehr in eine bloße Verständigung geraten, und so wunderte er sich eines Tages gar nicht, als die Leute wieder einmal ganz anders redeten, und er in ein Land geraten war, das Holland hieß.
    Weiß der liebe Gott, wie er über die Grenze gekommen war. Er wußte es nicht. Von Zöllnern hatte er jedenfalls nichts zu sehen bekommen. Und wenn jener blanke, schnurgerade Kanal, den er in einer Mondnacht durchschwommen hatte, die Grenze gewesen sein sollte, so hätten sie in seiner |287| Mitte ein Plakat aufstellen und es draufschreiben sollen, sonst verbiesterte man sich ja ganz in allen diesen Ländern, wie man sich in Tüffeln verbiestern konnte!
    Ihm jedenfalls war auch Holland vollkommen recht, wenn es auch mit Geld und Arbeit hier schlechter aussah. Und mit den Gendarmen auch. Aber er half sich mit seinen großen Schulzeugnissen voll feierlicher

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