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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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nächste kleine Fischerdorf war sieben Kilometer entfernt, die Sonne prallte mit erstickender Glut vom Himmel, und sie hatten kein Geld! Bei dem und jenem steckte noch ein Brotkanten im Rucksack, aber das vertrocknete Zeug wollte nicht über die durstigen Schleimhäute, und stumm und verbissen setzte sich die ganze Schar in Marsch. Lenz, von allen wie ein verworfener Muttermörder gemieden, zottelte am Schluß der Schar. Als allerletzter zog in der Ferne Gäntschow nach. In seinem Kopf brannte Feuer. Sicher hatte er irgendein blödsinniges Fieber, rätselhaft wieso.
    Nun, sie kamen auch über diesen Tag. Sie bekamen irgendwie auch an diesem Tage zu essen und zu trinken. Als sie am Abend mit ihren Klampfen wieder am Strand saßen und sangen, schien alles neu in bester Ordnung. Nur, daß Lenz noch immer abseits saß und daß kein Wort zu ihm gesprochen wurde, zeigte, daß eben doch noch nicht vergeben und vergessen worden war.
    |292| Am nächsten Tag, sie waren wieder am Strand, bewarb sich der Musterknabe, der Porzig, freiwillig um den Kochdienst. So viel Diensteifer hätte jedem auffallen müssen, selbst bei einem Klassenprimus und Wunderkind. Nur der Träumer Lenz ging ahnungslos zu eben dem Baden, dem der Porzig gerade seinetwegen fernbleiben wollte. Denn die Parole war von Mund zu Mund weitergeflüstert, daß man es dem Idioten, dem Lenz, beibringen wollte, mit dem guten Essen so zu aasen. Er sollte getaucht werden, bis er blau war. Acer natürlich, Führer und Student, würde von nichts wissen, den Horizont oder die Quallen studieren. Wohlwollende Neutralität heißt so was, wenn man nicht sieht, was man sieht.
    Nun, auch diese Jungen taten ihr Bestes, mit aller schönen Unbekümmertheit der Jugend: sie stießen den Kopf des Lenz, kaum war er aus dem Wasser, mit solcher Wucht wieder hinunter, daß er immer gleich auf den Grund ging. Er war eine Art Wasserball, alle strengten sich gewaltig an, ihn sofort bei jedem Auftauchen zu fassen, und das gelang ihnen im Sporteifer auch so glänzend, daß von Atmen gar keine Rede mehr war.
    Zuerst hatte Lenz gelacht, dann geschrien, dann gebettelt, jetzt kam er nur noch hervor, stumm mit den Händen flehend, blaurot, die Augen dick aus dem Schädel.
    Am Strande stand Gäntschow und sah dem zu. Es ging ihm heute sehr schlecht. In seinem Kopf ereigneten sich komische glühende Vulkanausbrüche. Dann wurde alles rot, die Sonne war ein tanzender Ball aus Glut, der in seine Augen rollen wollte. Er mußte die Lider schnell eine Weile schließen, dann ging sie etwas weiter ab von ihm. Aber er hatte auch auf das Wasser zu sehen, auch dort war ein Ball im Gange. Es war auch damit etwas nicht in Ordnung. Er hatte sich darum zu kümmern.
    Lenz unterdessen in seiner Nordsee war gleich alle. Er hatte so viel Salzwasser geschluckt, daß ihm übel davon war. Er stieß nur noch schwächlich an die Oberfläche. Salzige |293| Tränen rannen mit dem Salzwasser über seine Backen – eigentlich war er schon blauer, als man je gehofft. Aber die Jungen hatten natürlich längst vergessen, daß sie da einen andern Jungen vor sich hatten. Sie waren Sportler, von einer fixen Idee besessen. Da tauchte der Ball auf – rauf und runter! Wer ist der Schnellste? Halt, diesmal habe ich ihn, halt, diesmal kriege ich ihn, weg, runter. Diesmal habe ich es ihm aber besorgt!
    Der Herr Kammergerichtsrat Lenz zu Berlin nebst Frau hätten wohl vergeblich auf ihren mürrischen Sohn warten dürfen, mehr als die Nachricht von einem Unglücksfall (beim Baden ertrunken) hätten sie wohl nicht bekommen.
    Aber nun erscholl ein fürchterliches Gebrüll vom Strande her: Gäntschow hatte einen lichten Augenblick gehabt und kapiert. Die im Wasser schauten einmal zu ihm hin: Das ist der Stromer, will sich wohl mausig machen. Nun grade! Auf ihn! Weg mit dem Ball, siehste!
    Der Stromer kam durch die Fluten geschritten, er trug seinen schilfleinenen Anzug, seinen Hut, seine Wäsche, alles, was er hatte. Aber er hatte den Ruf gehört. Bis in seinen Fieberdusel hatte er ihn gehört. Das war seine Sache: ein Dutzend über einen her. Fieber, wenn schon, hier hast du eine. Weg mit dir, Kraftprotz, meine Muskeln sind doch noch ein bißchen anders. An den Beinen willst du mich reißen, du Affe? Hier hast du einen Beintritt, an dem du eine Woche zu hinken haben wirst! Was, fünf auf mich nieder?! Er schlenkert seinen Rücken frei. Das kühle Wasser macht ihm einen Augenblick den Kopf klar. Hier, mitten ins Gesicht für deine Feigheit

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