Wir hatten mal ein Kind
sich sein Eßgerät gedankenlos zu betrachten. Er hatte ja nun seine Frau in der heilsamen Furcht des Herrn erzogen, und so waren denn auch Messer und Gabeln und Teller und Brotbrettchen tadellos. Dann aber nahm er die Tasse in die Hand und sah hinein. Und wie er hineinsah, in demselben Augenblick, als er bewußt hineinsah, da nahm er die Tasse und –
|377| Es war nämlich so: Gäntschows hatten schlechte Küchentücher, und diese Küchentücher zeigten ihre Schlechtigkeit dadurch, daß sie fusselten. Unvermeidlich blieben kleine Fäserchen, Fusseln, beim Abtrocknen an dem Geschirr hängen, und Johannes Gäntschow hatte schon viele Male und mit starkem Nachdruck erklärt, daß er Kaffee trinken wolle und nicht Kaffee mit Fusseln, und daß er Suppe essen wolle und nicht Fusselsuppe. Nun hätte Frau Gäntschow natürlich längst neue Küchentücher anschaffen können. So knapp ging es bei ihnen nicht zu. Aber da war immer irgend etwas, was sie sich lieber anschaffte als langweilige Küchentücher – und in allem braucht man seinem lieben Mann auch nicht zu Willen zu sein. Wenn man außerdem nur ein bißchen aufpaßte und das Geschirr des Hausherrn beim Aufdecken mit einem andern Tuch ein bißchen nachrieb, so war alles in Ordnung. Das war es aber eben, was Frau Gäntschow an diesem schönen Februarvormittag über ihrem Fensterputzen versäumt hatte. Nun war es freilich auch gar nicht so tragisch, wenn Gäntschow irgendwo Fusseln fand, immerhin waren sie nicht mehr nur drei Wochen, sie waren schon beinahe vier Jahre verheiratet. Schließlich gewöhnt sich der Galeerensklave auch an die schwerste Kette. Gäntschow machte gar nicht viel Aufhebens. Aber er wollte doch einmal sehen, ob er seine Frau nicht dazu kriegte, neue Tücher zu kaufen: er nahm einfach den befusselten Gegenstand und warf ihn gegen die Wand. O Gott, rief dann regelmäßig Frau Gäntschow, und damit war der Fall erledigt.
Das tat sie auch diesmal, als sie die Kaffeetasse gegen die Wand klirren und scheppernd zerbrechen hörte. Und sie hastete von ihrem Fensterbrett. Gäntschow aber hörte nach diesem »O Gott« etwas wie einen schweren Fall. Dann ein Wimmern, eine lange Stille, dann ein schreckliches Stöhnen. Er stand nur langsam auf, schon als er den Fall und das Wimmern hörte, hatte er alles gewußt. Nein, nicht einmal jetzt dachte er an sie. Er dachte nur an das, was er verloren. Nicht an ihr Leid, nicht an ihren Kummer. Er brauchte das alles |378| nicht, was nun kam, nicht ihr aschgraues, schmerzverzogenes und doch flehendes Gesicht: Ich bin ein bißchen fehlgetreten. Nur einen Augenblick. Nein, danke, ich werde gleich wieder aufstehen, es ist alles gleich wieder gut.
Er brauchte nicht die diskrete, schonende Wichtigtuerei von Sanitätsrat Krummhübel: Ein kleiner, gewiß betrüblicher, aber ziemlich häufiger Unfall, eine Frühgeburt. Für das nächste Mal empfehle er, der jungen Frau Fensterputzen zu untersagen.
Er brauchte nicht das dusslige, verschnupfte Dienstmädchen, das ihm am nächsten Morgen, als ihr langsames Hirn die Zusammenhänge erfaßt hatte, den Dienst aufsagte: Wegen ein paar Fusseln soll ich wohl zum Mörder gemacht werden in diesem Hause! Und an einer so guten Frau! Und so ein süßes Kindlein! (Sie sagte wirklich: Kindlein.) Ich hab’s gesehen, Herre, und nie, nie will ich in diesem Haus bleiben.
Trostlos heulend zog sie ab. Er hätte auch trostlos heulen mögen, er hätte auch das »Kindlein« sehen mögen, er kannte es nicht, ihm hatten sie es nicht gezeigt. Er war wieder einmal draußen gewesen, einen Tag lang, mit seinem Pferde Harras, allein im Feld, im Wald, und das Land, das sein erwartungsvolles Glück gesehen hatte, sah nun seinen Schmerz. Seinen eigensüchtigen, bösen Schmerz, nein, seine hilflose, zähneknirschende Wut. Er hatte mal ein Kind, und sie hatte es ihm weggenommen. Verludert, verschludert, unachtsam in ihrem eigensten Beruf, ohne einen Gedanken in ihrem Vogelkopf. Zu nichts nütze!
Da reitet er dahin, er hat eine starke Hand und vermag ein Pferd zu leiten. Er hat einen starken Kopf und er vermag einem großen Betrieb mustergültig vorzustehen – aber von sich weiß er nichts. Sich vermag er nicht zu leiten, sich kann er nicht vorstehen. Er wirft Tassen gegen die Wand und denkt, er ist ein vorzüglicher Mann, ein herrlicher Mann, ein mustergültiger Gatte, wenn er vier Monate lang ein bißchen sanfter zu seiner Frau spricht und ihr mal aus der Fülle seiner |379| Gaben über das Haar streicht,
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