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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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wenn es ihm grade so einfällt.
    Das denkt er. Nein, er denkt es nicht. Er weiß alles von sich, er weiß, daß er ein schlechter Gatte ist und untauglich zur Ehe, er weiß, daß er nicht die rechte Liebe zu seiner Frau hat, er weiß, daß er ein armes, ihn hilflos liebendes Würmlein oft grausam quält – das alles weiß er. Aber trotzdem er das alles weiß, trotzdem zürnt er ihr weiter, trotzdem reitet er hier im Lande herum bis in die stockfinstere Nacht (und weiß dabei auch, daß sie auf ihrem schmerzvollen Bett sich nun auch noch um ihn ärgert), reitet herum, ballt die Fäuste, knirscht mit den Zähnen und flucht vor sich hin: Verdammtes Weiberpack! Hirnloses, langhaariges Hühnervolk! Gebärmaschinen sollte man erfinden, die würden wenigstens funktionieren …! Und dabei laufen ihm die blanken Tränen über das weiße, verkrampfte Gesicht.
    Nun, nach einer Woche ist die junge Frau wieder auf den Beinen. Nach einem Vierteljahr ist ihm sein Bett wieder im Schlafzimmer aufgemacht. Nach einem halben Jahr kann sie schon wieder singen. Man muß den Menschen nur Zeit lassen, es renkt sich schon alles wieder ein. Schön, schön. Das mit den Betten war vielleicht noch zu früh. Er hat sie stillschweigend wieder zurückgeräumt. Sie wird nun geduldiger auf ihre Stunde warten. Die wird schon kommen. So sicher er sich auch dünkt, er ist auch nur ein Mensch, tausend Stimmungen unterworfen. Grade er. Sein kalter, böser Ton, sein wütendes Schweigen, sein Stirnrunzeln, das alles kann sie betrüben und erschrecken, entmutigen kann es sie nicht. Sie liebt ihn wie eh und je. Sie sieht, was keiner sieht, was nicht einmal er weiß: hinter all seiner Härte und Herzlosigkeit den kleinen, traurigen Jungen. Er wird einmal seinen Trotz aufgeben und zu mir kommen. Sie weiß das aus all seinen Briefen, und ihr Herz sagt es ihr auch, daß solche Liebe wie die ihre nur zu warten braucht, um gekrönt zu werden.
    Und immer hat sie ja seine Briefe aus der Zeit, da sie gemeinsam jung und verliebt waren. Sie liest sie täglich. Und je |380| mehr er sich von ihr löst und entfernt, um so mehr versenkt sie sich in den Johannes Gäntschow von einstmals. Er ist immer bei ihr. Er macht ihr Herz geduldig, ihre Stimme hell, ihr Auge klar, ihr nie versiegendes Lächeln strahlend. Warte, bald ist er wieder da. Warte, bald wirst du belohnt sein. Habe bloß Geduld.
    Und in diese ihre Stimmung kommt ein kurzer Brief des Gemeindevorstehers aus Warder, Johannes müsse kommen, der Hof gehe zugrunde, Vater und Bruder seien tot. Ihr Herz jauchzt. So betrübt sie auch ist: dort auf der einsamen Insel unter lauter Bauern wird sie seine einzige Gefährtin sein, er wird wieder zu ihr zurückfinden. Vierzehn Tage später schon fahren sie. 

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    |381| FÜNFTER ABSCHNITT
Wiedersehen mit einer Freundin
    An einem fahlgrauen Novembernachmittag kamen sie in Kirchdorf auf Fiddichow an. Trotzdem sie ihre Ankunft gemeldet hatten, war weder ein Wagen noch die Mutter an der Bahn. Sie warteten noch einen Augenblick, dann sagte Johannes Gäntschow ungeduldig: Natürlich, es fängt gleich richtig an! Und ging los.
    Sie ging eilig neben ihm her. Er trug das Gesicht unter dem grünen Hut grade gegen den Wind, als täte der ihm gut. Mit raschen Blicken sah er nach rechts und links. Sie kamen am Windmühlenflügel vorüber, auf dem er einst die Schnapsflasche des Vaters leergetrunken hatte, und nun war schon der Blick auf den Hof frei. Er blieb plötzlich stehen, sagte: Ah, und schaute. Dann besann er sich auf seine Frau, zeigte mit der Hand und sagte fast feierlich: Das ist der Hof.
    Plötzlich veränderte sich sein Gesicht. Er sagte mit Schmerz und Wut in der Stimme: Sie haben Bäume geschlagen. Er zählte: Vier, fünf, sechs Pappeln. Sechs Pappeln! Sie waren über hundert Jahre alt.
    Er stand still, als könnte er es nicht glauben, und sie neben ihm stand auch still. Also komm, sagte er schließlich. Und im Weitergehen machte er sie darauf aufmerksam, daß es auf dieser Halbinsel fast nur größere Bäume im Windschatten der Gehöfte gab. Es erforderte unermüdliche Geduld, immer neues Nachpflanzen, Pflege, Achtung, die Bäume durch die dauernden schweren Stürme hindurchzubringen, bis sie stark genug waren, dem Wind aus eigener Kraft zu widerstehen. Wer auf dieser Insel, sagte er fast feierlich, jedes Jahr seines Lebens einen Baum pflanzt und großhegt, wird nicht |382| vergessen werden. Er setzte hinzu: Ich werde Bäume pflanzen. Sie legte sacht ihre Hand auf

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