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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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seine.
    Sie kamen dem Hof näher. Jetzt gingen sie schon an Feldern entlang, die dazugehörten. Seine Stirn umwölkte sich neu. Der Fahrweg nach Warder, von der Suhler Straße abbiegend, war kaum zu begehen, so sehr ertrank er in Nässe und Schmutz. Das Schild des Großvaters Malte war verschwunden. Das Tor hing schief in den Angeln. Der Mist verkam in der Jauche. Aus dem Kuhstall erscholl Weibergekreisch und Brummen von Männerstimmen. In die Strohdächer hatte der Wind Löcher gerissen. Ein einziges, mageres Huhn mit einem kranken, nackten Hals flüchtete schreiend vor ihnen. In der Hundehütte war kein Hund.
    Auf der Türschwelle trat ihnen die Mutter entgegen. Um ihr verfallenes, verfaltetes Gesicht hingen einzelne, eisgraue Haarzotteln, ihre Stirn war jetzt ganz schwarz geworden. Da seid ihr ja doch, sagte sie langsam, wie aus einem Traum, ich dachte, du kämst mit dem Abendzug. Du bist nie pünktlich gewesen, Hannes. – Ach, Hannes!
    Sie machte eine Bewegung zu ihm hin, legte die Arme um seinen Hals und weinte an seiner Brust. Solange er sich erinnern konnte, hatte sie ihn nie angerührt, außer, um ihm einen Schlag zu versetzen. Ein seltsames Gefühl durchrieselte ihn, er sah über den verwüsteten Hof, am Halse hing ihm die verweinte und verwüstete Mutter, die einen Mann und zehn Kinder überlebt hatte. Ihm war es, als sei er zu etwas heimgekommen, das doch zum Tode verurteilt war, und als sei nun auch er zum Tode verurteilt.
    Die Mutter richtete sich schon wieder auf, sie wischte mit dem Handrücken die Tränen ab und sagte jetzt in einem ganz andern Ton, auf Elise blickend: Und das sind also Sie.
    Unsinn, Mutter, sagte Johannes, du wirst doch zu Elise nicht Sie sagen. Wieso sind eigentlich die Kerls bei den Mädels im Kuhstall?
    Sie gingen ins Haus, und die Mutter fing eine lange Wehklage |383| über die Leute an, die der Sohn kurz abschnitt: Ich sehe schon, die Leute tun, was sie wollen.
    Im Haus sah es grauenvoll aus. Es gab nicht eine saubere Tasse. Elise mußte an den Abwaschstein, aber sie hätte eigentlich erst den Abwaschstein von monatealten Abfällen reinigen müssen. Das ganze Haus stank. Es herrschte die äußerste Armut, es gab nicht eine Kaffeebohne, nicht ein Gramm Zucker, ein elender Tee aus Brombeer- und Erdbeerblättern wurde aufgebrüht. Das selbstgebackene Brot war angebrannt und roch übel. Es gab keine Butter, sondern Margarine.
    Es stellte sich heraus, daß nichts für den Empfang der beiden vorbereitet war. Es waren keine Betten da, auch keine Bettwäsche. In der Bodenstube, in der Johannes früher geschlafen hatte, regnete es durch. Hier war Elise an ihrem Platz. Ihre Fröhlichkeit, ihre Gabe, sich jeder Lage anzupassen, waren unersetzlich. Sie lief im Haus umher, faßte überall an, und sie fand sogar in dieser Dreckhölle etwas, das sie bewundern konnte: einen Myrtenstock, einen uralten Busch, jetzt im November ganz mit Blüten und Knospen übersät.
    Während die Frauen im Hause umherwirtschafteten, ging Johannes in die Ställe. Alles war noch schlimmer, als er es sich beim trübseligen Teetrinken ausgemalt hatte. Das wenige Rindvieh halb verhungert und minderwertig, ein einsames Schwein in den Boxen, wo sein Vater dreißig gehalten hatte, die Pferde – nur drei statt vier – abgetrieben, mit offenen Wundstellen. Er erkannte einen alten Schimmel von früher wieder, er trat erfreut zu ihm in den Stand: Na, Alter, lebst du auch noch!? und versetzte ihm einen kräftigen Schlag. Der Schimmel wendete müde den Kopf, sein eines Auge war blauweiß vom Star, dann zog er die Lippen zurück, entblößte die gelben Zähne und machte einen lächerlich kläglichen Versuch, den neuen Herrn zu beißen.
    Was an Knechten und Leuten sich in den Ställen herumdrückte, faul auf Futterkisten räkelte, war alles junges Volk, mit frechen oder gleichgültigen Gesichtern. Sie rückten kaum an ihren Schiebermützen, wenn er guten Abend sagte, |384| und brummelten etwas Unverständliches. Irgendeine Auskunft war nicht von ihnen zu erlangen. Dafür konnten sie aber kräftig lachen, als der Schimmel nach ihm schnappte.
    In der Futterküche sah Gäntschow endlich ein bekanntes Gesicht, den alten Leer, der schon bei seinem Vater gedient hatte. Ach Gott, Leer, rief er erfreut, sind Sie denn das wirklich noch? Sie müssen doch …
    Zweiundachtzig, Hannes, zweiundachtzig, sagte der alte Mann und sah ihn blinzelnd mit seinen fast wimpernlosen Augen an.
    Und wie geht es denn? Schmeckt das Essen noch?
    Wenn wir

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