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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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was zu essen kriegen, dann soll es uns ja wohl auch schmecken, sagte der alte Mann und versuchte zu lachen.
    Warum ist denn das Vieh so schlecht gefüttert, Leer? So waren Sie doch früher nicht.
    Wenn es aber nichts zu füttern gibt, Hannes? Du mußt wissen, es gibt nichts, gar nichts. Den Hafer holen wir zentnerweise von Raiffeisen, auf Pump. Aber die wollen uns ja wohl auch nicht mehr pumpen. Das Schwein kriegt Kartoffelschalen, die Kuh Stroh.
    Aber ihr müßt doch was geerntet haben, Leer? Wo ist denn eure Ernte geblieben?
    Sie verkauft doch alles. Alles, was ein bißchen Geld bringt, verkauft sie. – Er sah Gäntschow aufmerksam an. Aber wo das Geld bleibt, weiß keiner. Manche sagen, sie hat’s in der Truhe vom alten Kapitän Düllmann. Manche sagen aber auch, sie bezahlt die jungen Bengels dafür, daß sie … Er sah den neuen Herrn wieder an und zog die Schultern hoch. Ich sage nichts, Hannes, ich habe nichts gesagt.
    Es ist gut, Leer, sagte Hannes. Natürlich haben Sie nichts gesagt.
    Er ging aus der Futterküche und stand lange still auf dem dunklen Hof. Im Haus, darin er einst geboren worden war, brannte Licht. Er hörte die helle Stimme seiner Frau. Dann lachte sie. Über ihm standen dieselben Sterne, wie sie über Schadeleben gestanden hatten. Aber er dachte nicht lange an |385| Schadeleben, er mußte plötzlich an Stettin denken, wie er sich gequält hatte auf der Maschinenbauschule. Dann, wie er dem alten Lehrer – wie hieß er doch, er wußte es nicht mehr – die Hefte nach Haus getragen hatte, wie er den Fleischgötzen von Frau gesehen und, vor Schrecken erstarrt, alles hingeworfen hatte und geflohen war.
    Jetzt konnte er nicht mehr alles hinwerfen und fliehen. Er war zehn Jahre älter geworden, man riß nicht mehr aus, sondern blieb da stehen, wo man hingestellt wurde, Ahnung von Unheil vorhin beim Anblick der Mutter – ah, bah! wenn man auf seinem väterlichen Hof stand, dann blieb man stehen, um nie wieder fortzugehen. Landwirtschaftlicher Beamter, Administrator, Herr über vierzig Pferde, hundertzwanzig Leute, ein großer Mann, angesehen bei allen Leuten – alles schön und gut. Nein, nein, nein. Das Leichtere war nicht das Bessere, das Leichtere war eigentlich nie das Bessere – gradedurch und wehr dich!
    Er ging langsam im matten Sternenlicht um die Scheune herum, auf deren Rückseite die Pappeln gestanden hatten. Er fand die Stümpfe. Nicht einmal die Stubben hatten sie gerodet! Er ging weiter auf die Feldscheune zu. Er rannte gegen etwas an, fluchte leise und entzündete ein Streichholz.
    Da lagen die Pappelstämme! Er brennt Streichholz auf Streichholz an. Er leuchtet die Schnittfläche an. Jawohl, da liegen sie, mindestens schon vor zwei Jahren geschlagen. Das Holz verstockt und nutzlos geworden, nutzlos die herrlichen Bäume geschlagen!
    Er geht weiter. Er kommt ins Haus zurück, er spricht kein Wort. Erst nach dem Abendessen, als die Mutter wieder hastig fortstieben will, sagt er: Halt, bleib jetzt erst einmal hier, Mutter.
    Aber ich habe keine Zeit, murmelte sie ängstlich. Ich muß noch in die Küche.
    Du mußt gar nichts, Mutter, sagt er und legt die Hand auf ihre Schulter. Setz dich ruhig hin. Jetzt ist Elise da. Elise, geh du in die Küche.
    |386| Elise geht. Mutter und Sohn sitzen sich allein gegenüber. Die Mutter wendet den Kopf hin und her. Sie rückt auf ihrem Stuhl, als wollte sie immer noch fliehen. Aber sie wagt es nicht, sie hat Angst.
    Wann ist eigentlich Vater gestorben? fragt der Sohn.
    Vater? Aber ich weiß doch nicht. Vielleicht vor drei Jahren. Oder sind es schon vier?
    Und wann ist Max gestorben? fragt er weiter.
    Max? sagt sie ängstlich. Max? Ein bißchen später? Oder ein bißchen früher? Ich weiß es nicht mehr. Sie ist wieder still. Aber ihre Lippen bewegen sich weiter, als spräche sie noch mit sich selbst.
    Warum hast du mir nie davon geschrieben, Mutter?
    Geschrieben? Wohin denn? Ich wußte doch nicht, wo du warst.
    Ich habe euch vier oder fünf Briefe geschrieben. Du hast gut gewußt, wo ich war.
    Ich habe nie einen Brief bekommen, sagt sie hastig.
    Das ist nicht wahr, Mutter, sagt er. Du hast ja gewußt, daß ich verheiratet war. Ich habe es wohl gesehen, als wir vorhin ankamen.
    Sie wendet angstvoll den Kopf hin und her, als suchte sie einen Ausweg. Ich durfte doch nicht schreiben, sagt sie plötzlich. Du weißt, Vater wollte nichts von dir wissen.
    Das ist wieder nicht wahr, Mutter, sagt der Sohn. Vater hatte sich längst ausgesöhnt mit mir.
    Sie

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