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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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schon, und länger soll sie auch gar nicht. – Du hättest ihn ja mal sehen sollen, Hannes, den Stupps, was für ein vergnügter, lustiger Bengel der noch vor fünf Jahren war, und wie der lachen konnte! Jetzt hat er sich da eine hamburgische Steifheit zurechtgemacht, hinter der er sich verstecken kann, |442| aber damals ist er der erste gewesen, der mit Hoiho und Gelächter die lange Leiter zum Strohdiemen hinaufgejachtert ist. Und von oben hat er Land und See angerufen, so begeistert war er vor Freude. Als wir aber wieder die Leiter runter wollten, hat er gelacht: All die Sprossen runter? Keine Idee. Ich rutsch’ wie als Junge auf dem Hintern. Und ehe ich ihn noch halten konnte, war er weg. Dann hörten wir ihn schreien.
    Sie hielt inne und sah in den grünen Wald. Jawohl, das Land summte in der Sonne, und es war so still, daß man einen Vogel flattern hörte. Wie ich die Leiter hinunter gekommen bin, fuhr Christiane mit ihrem trübseligen Bericht fort, das weiß ich nicht. Aber da lag er nun unten, aschfahl, und stöhnte. Aber wie er mich sah, versuchte er doch wahrhaftig zu lächeln und sagte: Schöne Schlamperei das auf deinem Gut, Christiane, da hat doch so ein Lausebengel seine Forke am Strohhaufen stehen lassen, und ich bin mit all meinem schönen Hochzeitsgeschirr da reingefahren … So war es denn auch. Die haben ja dann an ihm herumgeschnitten und gedoktert, daß es ein Jammer anzusehen war. Und er war ja so verzweifelt, daß er immer nur gesagt hat: Christiane, machen wir keine großen Geschichten, ich laß mich von dir scheiden. Ich tauge nie wieder was. – Aber dann haben sie ihm gesagt: nun ist er wieder in Ordnung. Und er ist auch vollkommen wieder in Ordnung. Er ist jetzt so wieder in Ordnung, daß er sich fest einbildet, das Wasser ist schuld oder ich, aber nie er.
    Sie ging zu den Pferden, löste die Zügel vom Baum und klopfte ihren Rappen zärtlich auf den Hals.
    Ja, nun wollen wir ihm langsam nachreiten. Aber vor Reese biegst du ab, Hannes. Da muß ich mit ihm allein sein. Wenn es aber deine Wirtschaft zuläßt, Hannes, und deine Frau hat nichts dagegen, so könntest du heute abend mal bei uns reinschauen. Denn manchmal denke ich, über solch einen Abend ist überhaupt nie wegzukommen. Wie er da so sitzt und sich alles Elend der Welt einbildet. Wenn wir dann auch |443| keine sehr vergnügte Gesellschaft für dich sind, für Vergnügtsein braucht man ja eigentlich seine Freunde nicht. Oder doch, Hannes?
    Nein, vergnügt war ein solcher Abend bestimmt nicht. Hinter seiner Frau kam Herr Wendland schnurgerade ins Speisezimmer marschiert, untadelig saß die Krawatte, kein Härchen war von dem glatt durchgezogenen Scheitel aufgestanden, aber seine Augen blickten starr – tote Dorschaugen, wie der Gastwirt sie genannt hatte. Und er hörte, sah und sprach nicht, so toll und voll war er. Aber während Hannes und Christiane halblaut miteinander sprachen und ihr Abendbrot aßen, saß er da und starrte auf seinen Teller und sah gar nichts.
    Dann plötzlich pfiff er halblaut durch die Zähne, und im gleichen Augenblick lief der alte Diener Eli, ganz gleich, was er grade in der Hand hatte, im Laufschritt aus der Tür und schloß sie fest und sicher.
    Und schon flog der erste Teller gegen die Wand und die Tassen. Er warf mit Messern und Gabeln. Er legte die Füße mit staubigen Reitschuhen auf das staubige Tischtuch, er wippte gefährlich in seinem Stuhl, und bei alledem floß er über von Geschwätz, er lallte und sang, er schrie Zotenworte, er wollte zärtlich werden zu seiner Frau, von einer viehischen Zärtlichkeit …
    Ach, dieser beherrschte, wohlerzogene Hamburger Kaufmannssohn! Da ging er dahin durchs Leben und gab knapp und kühl Antwort und Befehl. Er schien vereist, aber die Schmach brannte in ihm. Er hatte eine Enttäuschung erlitten, und er kam nicht darüber weg. Das war der Bissen, den er nicht schlucken mochte. Manchmal wollte er ihn runterspülen, aber er blieb ihm in der Kehle sitzen. Er war grotesk, wie er dasaß, mit einem weißen, gedunsenen Gesicht und den toten Fischaugen, wie er Halloh schrie und all sein Heiligstes, ängstlich Bewahrtes bespie und mit Füßen trat. Wie er idiotisch lachend nach seiner Frau faßte, in der peinigenden Alkoholbrunst, wie er über einen Teppich stolperte und |444| sich wütend, alles vergessend, nach ihm umdrehte und ihn beschimpfte, als sei der Teppich sein persönlicher Feind … Sie bewahrte ihn vor den schlimmsten Stürzen, sie redete ihm zu: Nun,

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