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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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geordnet aussah, nickte, sagte höflich: Gute Nacht, Herr Gäntschow, und ging.
    Es war nun eigentlich unvermeidlich, daß der rückbleibende Johannes Gäntschow, der unermüdlich gedankenvoll im Zimmer auf und ab wanderte, aus dem Sprüchlein des Elias eine Nutzanwendung auf sein eigenes Leben im allgemeinen und auf sein Verhältnis zu Elise im besonderen zog. Aber es ist nun einmal im Leben so eingerichtet, daß wir nur selten die unvermeidliche und nächstliegende Nutzanwendung aus den Sprüchlein ziehen, die die Welt uns darbringt, sondern daß wir stets geneigt sind, dieses Sprüchlein erst einmal unsern Nächsten und Mitmenschen als Angebinde in ihre Wiege zu legen. Und wenn also der wandernde Johannes auch an Elise dachte, so doch nur darum, um festzustellen, daß
sie
jedenfalls die rechte Liebe nicht hatte. Dann übersprang er sie, verweilte einen Augenblick bei Wendland, der auch die rechte Liebe nicht hatte und ihr viel zuviel auflud. Dann aber war er bei Christiane. Und er sah sie wieder vor sich mit ihrem schönen, blühenden Gesicht, wie sie dem betrunkenen Mann zugesprochen und ihn geleitet hatte. Er sah sie am Strand dahingaloppieren, mit einem strahlenden Gesicht, in Sonne und Wind am Wasser. Er sah sie, wie sie gedankenvoll |447| die kleine Dornbuschrose am heutigen Nachmittag angesteckt hatte. Er sah sie so deutlich, in ihrer blauen Reitbluse so deutlich, daß er alles vergessend die eintretende Christiane fragte: Und wo ist die kleine Rose geblieben?
    Die kleine Rose? fragte sie. Nein, die ist fort. Die ist nicht einmal bis zu Reese gekommen. Aber was ich dich fragen wollte, was mir eben eingefallen ist, als ich bei ihm saß, Hannes, und er konnte gar nicht zur Ruhe kommen, und totschießen wollte er sich auch – was ist eigentlich mit deiner Frau, Hannes?
    Mit meiner Frau? Mit meiner Frau ist gar nichts.
    Sie sah ihn einen Augenblick prüfend an. Sie hatte ihn sofort verstanden.
    Als wenn ich mir nicht gleich so etwas gedacht hätte! Aber, Hannes, wie konntest du es da bloß übers Herz bringen, sie zu heiraten?
    Er sah Christiane an; er haßte dies Gespräch. Er wollte, daß es zu Ende war. Sie wohnte auf der einen Seite des Hauses und er auf der andern. Eines Tages würde sie die Sinnlosigkeit von alldem einsehen und sich scheiden lassen. Vielleicht würde er aber auch noch nachhelfen müssen, nun gut, nein, nichts mehr davon –!
    Ich habe sie überhaupt nicht geheiratet, Tia, sagte er böse, sie hat mich geheiratet.
    Richtig, Hannes, sagte Christiane spöttisch, und eine kleine, senkrechte Falte stand zwischen ihren Brauen. Ganz der alte Johannes Gäntschow bist du nun auch nicht mehr. Und vor fünfzehn Jahren hättest du so etwas noch nicht sagen und dich schlankweg um alle Verantwortung herumreden können. Natürlich hat sie dich heiraten wollen. Und natürlich hast du nur mit Not und Mühe schließlich großmütig eingewilligt. Und jetzt drehst du ihr einen Strick daraus, und ein angenehmes Leben wirst du ihr schon bereitet haben und bereiten, das kann ich mir alles recht lebhaft ausmalen. Dafür habe ich Stoff genug, und du brauchst mir gar nichts zu erzählen.
    |448| Er stand da und sah auf sie hinunter, die nachdenklich die Platte des Couchtisches betrachtete und die gewachsenen Holzmaserungen mit den Fingern nachzog.
    Hör zu, Tia, sagte er. Ich will einmal mit dir davon reden und dann nie wieder. Ich ertrage es nicht, davon zu reden. Und ich schwöre dir, wenn du noch einmal davon anfängst …
    Jawohl, sagte sie und sah nicht auf, dann kommst du nie wieder. Ich weiß es schon. Und du könntest ebensogut sagen, du hacktest dir die Hand ab oder du schnittest dir die Zunge aus, imstande bist du immer zu allem, was dir und denen, die dich liebhaben, weh tut – das wissen wir alles.
    Sie stand auf und, ohne ihn anzusehen, fing sie an, rasch und lautlos auf dem Teppich auf und ab zu gehen.
    Du hast einen Fehler gemacht und hast jetzt eingesehen, wie groß der Fehler ist, und nun schämst du dich. Und weil du dich schämst, bestrafst du sie dafür. Du bestrafst sie sicher schrecklich, denn sie liebt dich doch.
    Sie blieb stehen und sah ihn nachdenklich an.
    Ich verstehe es ja. Es ist nur menschlich. Wir sind alle keine Engel, du nicht, ich nicht, keiner …
    Doch, doch, Tia, sagte er ernsthaft und sah sie an.
    Ein leises Rot stieg in ihre Wangen: Unsinn, Hannes! Aber, sagte sie fast verzweifelt, wenn ich nun denke, daß zu allem, was ihr schon aufgeladen ist, noch die Eifersucht kommt,

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