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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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das.
    Was hat er davon?
    Ja, das kann er noch. Er kann eine Blüte zu sich biegen, sie lange betrachten und vorsichtig zurückschnellen lassen. Er schmeckt andächtig Erde, und ein gutgepflügter Acker bringt ihn zum Entzücken. Er wird tollwütig, wenn man ein Pferd gedankenlos schlägt, wenn der Stallschweizer die Kuh mit der Forke in die Seite stößt. Er ist etwas Letztes, Widernatur, etwas Unfruchtbares, von elf Geschwistern der einzige, aber auch er lebt fast nicht mehr. Er war kein übler Junge gewesen, er hatte Anlagen, er war so uneben nicht, er hatte Aus- und Einsichten, aber es hatte sich alles verbraucht.
    Da sitzt in der Ferne die Frau, die er geliebt hat. Christiane, Tia, die Jugendgespielin, die Freundin, Mutter seines erwarteten Kindes. Kein Gedanke, daß er nun etwa töricht schwieg, sich totstellte. Nein, der Briefträger hatte vollkommen recht gehabt: sie wechseln sogar Briefe. In der ersten Woche, nein, in den ersten vierzehn Tagen, da konnte er noch schweigen, aber als er dann begriffen hatte, daß dieser einzeilige, von Haase gebrachte Brief wirklich keine Weibertragödie war, sondern nichts als die Empfehlung eines unseligen, an Arbeitslosigkeit krepierenden Mannes, wie sich dann seine Aufgabe immer mehr herausgebildet hatte, wie dieser Schiffshaushalt entstanden war – da schrieb er.
    Er schrieb nicht etwa Briefe von einer Zeile oder auch nur zehn Zeilen – in den ersten Tagen hatte er daran gedacht, ihr einen Brief zu schreiben: Liebe Christiane! Es geht um den Hof! Dein Hannes. Aus Zeitmangel war er nicht dazu gekommen, auch war Christiane seinem Hirn zeitweise ganz entschwunden gewesen, nein, nein, nein, er schrieb schöne, ausführliche Briefe. Drei Seiten, fünf Seiten.
    |556| Er schrieb über das, was er vorgefunden, über seine Schwiegermutter, den Wechselkredit, die frauenlose Wirtschaft, er schrieb über seinen Kuhstall, er hatte von acht Kühen hundertundfünfzig Liter Milch. Heute haben wir Roggen gedrillt, schrieb er, es war grade das rechte Wetter, ein bißchen bedeckt. Kaum Wind, es roch direkt nach Regen. Wenn ich morgen früh aufwache, werden die Dachrinnen pladdern. Ja, schrieb er, den Haase würde er vorläufig hierbehalten, es sei nicht einmal ein Opfer, er sei sogar brauchbar. Von der Landwirtschaft natürlich keine Spur von Ahnung, aber ein richtiger Beamter, zuverlässig bis zum äußersten. Zuverlässig durch sieben Wände hindurch, kein Geschwätz und jeden Befehl wortlos ausführend. Er erzählte, er habe Mist fahren lassen, er habe dem Haase eingeschärft, der Mist müsse gut angeklopft werden auf dem Wagen, daß nichts verlorengehe. Nun, es ging doch Mist verloren. Als Herr Haase mittags nach Haus kam, brachte er zwei Mistbrocken in den Händen mit. So wurden Befehle ausgeführt! Buchstäblich! Kein Gehirn, aber zuverlässig. Man sollte nur mit solchen Leuten leben und arbeiten.
    Du hast natürlich vollkommen recht, Hannes, antwortete Christiane, die Hauptsache ist, man lebt so, daß einem nichts auf dieser Erde mehr was anhaben kann. Mir geht es mit meiner Häsin auch nicht anders. Früher habe ich manchmal vor ihren Bullenbeißerlaunen rechte Angst gehabt. Jetzt hat sie Angst. Vor ihrer Verlassenheit nämlich. Daß ich in den Wald gehe und allein bleibe mit meinem Kind. Manchmal komme ich mir nämlich wirklich wie eine echte vertriebene Land- und Pfalzgräfin vor, die im wilden Walde haust, auf ihr Kindlein wartet und auf den Hohen Herrn, der sie aus der Tannennadeleinsamkeit erlösen und auf sein Schloß führen wird. Wobei ich ganz und gar nicht auf deinen Warderhof anspiele, den ich mir, Männerparadies, der er für euch ist, als eine wahre Weiberhölle vorstelle, all das entbehrend, was Frauen das Leben erst wert macht. Dein tüchtiger Ziegenspeck (so sehr sein Kochen von euch allen gerühmt wird) erregt mir schon durch seinen Namen in meinem jetzigen Zustand einen |557| wahren Horror. Und ich will hundertmal lieber eine Haasenküche essen als ein Ziegenspeckdiner. Hast du übrigens einmal Ziegenspeck gesehen, ich meine richtigen, wirklichen? Es gibt schon ausgefallene Dinge, auf die ich jetzt gerate, und ich hoffe nur, unsere Tochter oder unser Sohn wird im Leben nicht daran leiden müssen, an alldem, an was seine Mutter jetzt denkt. Nein, es bleibt dabei, ich bleibe hier in meiner Einsamkeit sitzen, bis du zu Weihnachten deinen Glanz in meine niedere Hütte trägst. Und dann werde ich wohl gleich unter deinem Beistand nach Berlin in die Privatklinik

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