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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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gehenlassen, man konnte auch eine Niederlage einstecken, man konnte sogar so weit gehen, daß einem trotz aller Korrektheit und Wohlerzogenheit Meinung und Gerede der Leute vollkommen gleichgültig wurden. Man willigte nicht sofort in eine Scheidung, nein, man setzte eine Frist und hielt den Park in Ordnung, was ja alles gar nichts anderes hieß, als daß man noch nicht ganz ohne Hoffnung |562| war. Ja, seht, so weit konnte man sich dann noch versteigen, daß man mit dem Gedanken spielte, die Frau wieder zurückzunehmen.
    Aber wenn das eigentlich alles recht günstig stand, wenn der andere sich »ohne Frau Wendland behalf«, dann kriegte man Angst vor seinem eigenen Mut, setzte sich auf sein Pferd und wollte von diesem Vierhufer herunter auf dem Felde die beiden wieder zusammenbringen.
    War es so oder war es nicht so? Es gab viele Deutungsmöglichkeiten. Auch Herr Wendland war nur ein Mensch – und sicher kein Gäntschow. Er handelte nicht geradlinig, er konnte in der einen Stunde das wollen, was er in der andern fürchtete.
    Gäntschow hier unten im Park sieht ein Licht nach dem andern verlöschen und hat natürlich mit solchen Dingen überhaupt nichts zu tun. Es könnte vielleicht nach Reue aussehen oder nach Sorge, daß er hier steht und auf einen Schuß wartet, aber, wie gesagt, nichts davon! Er steht hier eben, und nun brennt nur noch das Licht in der Diele.
    Er kennt ja genau die Lage aller Räume, und er kann sich ziemlich gut vorstellen, wie Herr Wendland (Stupps) da an einem Tischchen sitzt und Whisky trinkt, bis seine Augen dorschhaft geworden sind.
    Gäntschow kann sich auch vorstellen, daß er selbst jetzt von der Terrasse an einer Regenrinne zu dem offenen Gangfenster dort emporklettert und einsteigt. Das ist nicht schwierig.
    Drei Minuten später steht er auf der Diele bei dem Trinkenden, sagt: Sie gestatten doch –, holt sich ein Glas, und nun trinken die beiden gemeinsam durch die Nacht, der verlassene Ehemann und der treulose Liebhaber – eine wunderhübsche Szene für einen Film.
    Aber Johannes Gäntschow bleibt mit kalten Füßen unten im Park stehen, schließlich geht das Licht auf der Diele doch einmal aus. Nun ist das Treppenhaus hell, und Gäntschow verfolgt den Weg von Herrn Wendland durch das obere |563| Stockwerk, bis in das Schlafzimmer von Frau Wendland. Ja, dort wird es nun hell, und so lange Gäntschow auch steht und wartet: es wird nicht wieder dunkel. Herr Wendland macht im Schlafzimmer seiner Frau nicht nur einen Abendbesuch, er scheint dort zu bleiben, er hat sich – eine zweite Elise – gewissermaßen in seinen Erinnerungen eingerichtet.
    Jedenfalls ist es nun Zeit, auf den eigenen Hof zu gehen, wenn man noch ein paar Stunden schlafen will. Die Füße sind auch kalt genug. Mit einem Schuß ist nicht zu rechnen, so weit ist alles in Ordnung. Nicht in Ordnung ist das seltsame Gefühl in der Brust und im Herzen, als hätte man sich einer Sache zu schämen. Gäntschow kommt plötzlich auf die groteske Idee, als könnte der Wendland im Schlafzimmer seiner Frau, im Bett seiner Frau, auch die Wäsche seiner Frau angezogen haben. Und zu dem Gefühl von Scham gesellt sich ein Gefühl von leichtem Grauen.
    Was sie alles machen! denkt er. Wie sie sich abstrampeln. Es ist doch nur der Bauch, nichts kapieren sie.
    Plötzlich fällt ihm ein, daß er dem Wendland eigentlich unbedingt und auf der Stelle sagen müßte, daß Tia und er ein Kind erwarten. Als würde dann Wendland aus Christianes Zimmer ausziehen und nicht mehr solche Dinge treiben …
    Aber nun ist er schon wieder halbwegs in Warder, und es ist überhaupt nur eine Nachtidee, für drei Uhr sehr passend, also ein Gespenst. Er hat morgen stramm zu arbeiten, er hat jeden Tag stramm zu arbeiten, er hat für Überflüssigkeiten keine Zeit. Jedenfalls wird es nicht knallen, und so kann er in aller Ruhe weiterarbeiten.
    Man kann im August sich ohne Schwierigkeiten einbilden, daß der Dezember noch unendlich weit ab wäre. Auch im September braucht man nicht an das Weihnachtsfest zu denken. Man hat ja auch nichts vorzubereiten, man hat nur abzuwarten. Im Oktober mit seinem Fall der letzten Blätter, mit seinen Stürmen und den früher und trüber werdenden Abenden, muß man sich mit dem Gedanken an den Winter schon eher vertraut machen. Der November bringt den ersten |564| Schnee, der zwar gleich wieder zergeht, aber nun gut, jetzt ist es bald Weihnachten.
    Wie ist das eigentlich? fragt Gäntschow seinen Steuermann Haase. Fahren Sie nun

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