Wir in drei Worten
cremefarbener und schwarzgelber Flügel entsteht, als sich die Vögel auf die durchweichten Ciabattastückchen stürzen.
»Was ist mit dem mageren Kerl, der ständig zu kurz kommt?«, fragt Ben.
»Wo?«
»Da! Ganz hinten. Der arme Teufel.«
Ich gebe Ben ein großes Stück Ciabatta, worauf er mich anlächelt. Es ist nicht irgendein Lächeln, sondern ein wenig wehmütig. Ein Spielfilmlächeln mit einem gelben Filter auf der Linse. Ein Schau-uns-beide-an-Lächeln, bei dem den Zuschauern die Tränen kommen. Er fängt an, mit mehr Schwung als ich, Brotstückchen zu werfen.
»Erwischt! Schau, Kumpel, das Leben ist nicht so ungerecht, wie du glaubst.«
»Ist es doch«, widerspreche ich.
Ben blickt mich kurz an. Ich spüre, wie sich ein tiefgründiger Moment anschleicht.
»Eigentlich bringen wir gerade die Fische um«, verkünde ich. »Die Brotreste vergammeln, und dadurch bildet sich zu viel Nitrogen im Wasser oder so ähnlich.«
»Alles musst du miesmachen«, sagt Ben. »Und ich dachte gerade, wie schön das hier ist.«
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44
W ährend ich mich im Bus an die Halteschlaufe klammere, verliere ich mich in Gedanken an den verwaisten Simon, der nun trotz seiner Umtriebe mit verheirateten Frauen meiner Zuneigung und Anteilnahme würdig ist. Obwohl ich Ben bedingungslos vertraue, kann ich nicht anders, als mich nach Simons Version der Dinge zu fragen. Dann fällt mir ein, wie ich Natalie Shale hintergangen habe und auch meine Debatte mit Caroline. Wahrscheinlich muss ich härter werden und »Stellung beziehen«, wie Rhys es ausdrücken würde.
Mein Mobiltelefon in den Tiefen meiner Handtasche gibt ein Vogelgezwitscher von sich. Ich balanciere die Tasche auf der Hüfte und hole das Telefon heraus.
Es ist Ken. Kein gutes Zeichen. »Hallo?«
»Woodford? Wie finden Sie Zoe Clarke?«
»Wie ich sie finde? Als Kollegin?«
»Nein, im Kerzenschein. NATÜRLICH ALS KOLLEGIN .«
»Äh, sie ist …« Ich stecke mir den Zeigefinger ins freie Ohr, um Verkehrslärm und Stimmengewirr auszublenden. »… sie ist hervorragend. Eine tolle Reporterin. Und man braucht ihr nicht das Händchen zu halten. Sie unterstützt mich, und ich weiß, dass ich eine Story kriege, wenn ich sie darum bitte.«
»Richtig. Ich habe mit dem Verleger geredet. Uns gefällt Clarkes Trefferquote bei Gericht.«
Hoppla … habe ich mich da gerade um meinen Job geredet?
»Also wollen wir es versuchshalber mit einem neuen Arrangement probieren …«
Meine Muskeln verkrampfen sich. Doch Widerspruch ist zwecklos. Wenn Ken sich etwas in den Kopf setzt, ist er nicht mehr aufzuhalten, insbesondere da der Verleger bereits seinen Segen gegeben hat. Da hätte man bessere Chancen, einen Öltanker vom Kurs abzubringen, indem man ihm ein Bein stellt.
»Wir werden sie Vollzeit ins Gericht stecken …«
Das darf nicht wahr sein! Ich werde doch jetzt nicht erfahren, dass ich zurück in die Redaktion und allgemeine Berichterstattung machen muss. Stadtratssitzungen, Nachrufe, Nachtschichten. Nein. Ich werde mich weigern. Dann kündige ich. Ach ja? Und wer bezahlt dann die alberne Luxuswohnung, die du dir so schon kaum leisten kannst?
»… als Ihre Assistentin. Dann haben Sie mehr Zeit für Hintergrundberichte wie das Interview mit Natalie Shale. Das hat uns sehr gut gefallen. Eine geradlinige Geschichte, ohne auf die Tränendrüse zu drücken.«
»Oh … äh … danke«, stammle ich.
»Ab nächster Woche?«, fügt Ken hinzu.
»Kein Problem.«
Er legt auf, ohne sich zu verabschieden. Ken Baggaley ist der einzige Mensch außerhalb eines Films, der so etwas wirklich tut.
Als sich die Bustür mit einem hydraulischen Zischen öffnet, steige ich aus, atme in tiefen Zügen die von Kohlenmonoxyd strotzende Stadtluft von Manchester ein und warte, bis sich die Panik von gerade eben gelegt hat.
Eine Assistentin. Endlich werde ich Zeit für die wirklich großen Storys haben und vielleicht sogar die Liebe zu meinem Beruf wiederentdecken. Ich wusste, dass das Exklusivinterview mit Natalie Shale mir nicht schaden würde. Doch mit einer Beförderung hätte ich nicht gerechnet. Auf dem Weg zur Arbeit schmunzle ich in mich hinein.
Caroline hat angedeutet, dass es unangenehme Folgen für mich haben könnte, wenn ich mich mit Ben zu sehr anfreunde. Bis jetzt hat es mir nur Glück gebracht.
Eigentlich würde ich unsere gemeinsame Beförderung am liebsten in einem schicken Lokal feiern, doch meine Miete lässt das einfach nicht zu. Und da Zoe trotz Gehaltserhöhung
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